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Ida B ... und ihre Pläne, so viel Spaß wie möglich zu haben, Unheil zu vermeiden und (eventuell) die Welt zu retten

Ida B ... und ihre Pläne, so viel Spaß wie möglich zu haben, Unheil zu vermeiden und (eventuell) die Welt zu retten

Titel: Ida B ... und ihre Pläne, so viel Spaß wie möglich zu haben, Unheil zu vermeiden und (eventuell) die Welt zu retten
Autoren: Katherine Hannigan
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seitlich aus dem Berg ragte, und spürte, wie seine Wärme in meinen Körper rann, versuchte ich ganz fest, auf seine Stimme zu horchen. Wenn ich sie schließlich hörte, klang sie wie ein tiefes, sanftes Summen, das immer weiter tönte, für alle Zeiten. Und alles, was ich über Steine gelernt hatte, machte auf einmal Sinn, sowohl im Kopf als auch tief in meinem Innern.
    Zu Hause Unterricht zu haben bedeutete aber auch, dass ich nicht gequetscht in einem stinkenden alten Bus fahren oder den ganzen Tag in einem stickigen Raum still sitzen musste. Mama ließ mich jedes Jahr an einer Prüfung teilnehmen und jedes Jahr bestand ich sie mit Superergebnissen. Und ich konnte genau da bleiben, wo es mir am besten gefiel: bei Mama und Daddy, Rufus und Lulu, den Bäumen und dem Berg, den Schlangen und den Vögeln. Jeden Tag, von morgens bis abends.
    Das kam mir vor wie der beste Plan der Welt.

6. KAPITEL

    Als ich fünf Jahre alt war, bin ich einmal für zwei Wochen und drei Tage zur Schule gegangen. Ich war in Miss Myers’ Vorschulklasse an der Ernest-B.-Lawson-Grund schule.
    Miss Myers’ Gesicht war von schönen braunen Locken umrahmt und sie lächelte mit einem kleinen traurig-freudigen Lächeln, bei dem die Mundwinkel nach oben gingen, aber die Augen trotzdem fast die ganze Zeit voller Schmerz schauten.
    Am ersten Schultag stand sie in der Tür und sagte zu jedem von uns, als wir hereinkamen: »Hallo.« Und dann erklärte sie einem nach dem andern, wir sollten uns in dem großen Kreis auf dem Fußboden einen Platz suchen. Das tat ich.
    Nachdem sich alle niedergelassen hatten, zog sich Miss Myers einen Stuhl heran, setzte sich vorn in den Kreis und sagte: »Guten Morgen, Kinder. Ich bin eure Lehrerin, Miss Myers. Meine erste Aufgabe ist es, eure Namen
zu lernen. Wenn ich also gleich eure Namen aufrufe, hebt bitte die Hand und sagt ›hier‹. Habt ihr das verstanden?«
    Wir nickten alle.
    Emma Aaronson, die, wenn sie in der Kirche ist, immer den Mund bewegt, als würde sie singen, egal ob sie das Lied kennt oder nicht, war die Erste.
    »Hier«, rief Emma.
    »Guten Morgen, Emma«, sagte Miss Myers.
    Und Emma antwortete sofort auch mit einem »Guten Morgen«.
    Als nächster Name kam »Ida Applewood«, und Miss Myers blickte sich im Kreis um, wer das wohl sein könnte.
    »Hier«, sagte ich, hob aber die Hand nur halb, denn es war ja nur ein Teil meines Namens.
    »Guten Morgen, Ida«, sagte Miss Myers lächelnd und schaute schon nach dem nächsten Namen auf ihrer Liste.
    Doch ehe sie sich von mir lösen konnte, sagte ich zu ihr, damit das von Anfang an richtig gestellt war: »Es muss aber Ida B heißen.«
    Miss Myers schaute auf und hatte ein paar Falten zwischen den Augen. »Wie bitte?«
    »Es muss Ida B heißen«, wiederholte ich. »Ich heiße Ida B.«
    Sie starrte mit einem Ausdruck, als würde sie schwer überlegen, doch auch mit einem gewissen Missfallen noch einmal in ihre Liste. Aber nach wenigen Sekunden breitete sich auf ihrem Gesicht dieser Blick ruhigen und sicheren Vergnügens aus, den Leute bekommen, sobald sie merken, dass sie Recht haben, und es sie juckt, einem das in allen Einzelheiten darzulegen.

    »Ja, Ida«, sagte sie zu mir, »ich glaube gern, dass du zu Hause in deiner Familie mit einem Kosenamen gerufen wirst, zum Beispiel ›Ida B‹. Und das ist für zu Hause auch schön. Aber hier in diesem Klassenzimmer wollen wir unsere richtigen Namen benutzen, keine Kosenamen.« Dann schaute sie mit diesem traurig-freudigen Lächeln im Kreis herum. »Haben das alle verstanden?«
    Und sämtliche anderen Kinder nickten mit dem Kopf und lächelten zurück, nur ich nicht.
    »Dann lasst uns weitermachen«, sagte Miss Myers.
    »Samuel Barton?«, hieß es als Nächstes, aber ich kam immer noch nicht mit »Ida Applewood« klar und blieb während der ganzen Namensliste und aller »Guten Morgen«-Wünsche dort hängen.
    Denn überall auf der Welt, wo wir je gewesen sind, war Ida Applewood immer meine Mutter. Und jedes Mal wenn ich mit irgendwelchen Leuten länger zusammen war als nur für den kurzen Moment des Kennenlernens und vielleicht noch drei Takte mehr, war ich Ida B.
    Deshalb fragte ich mich - und es machte mir natürlich Sorgen -, wie ich mich in Zukunft jedes Mal erinnern sollte, aufzuschauen oder »Ja, Madam« zu sagen, wenn Miss Myers »Ida« rief. Doch plötzlich wurde mir ein noch größeres Problem bewusst.
    Ich begriff, dass mir der neue Name, der mir gar nicht gehörte, nicht nur für heute oder für
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