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Ich wollte Liebe und lernte hassen

Titel: Ich wollte Liebe und lernte hassen
Autoren: Fritz Mertens
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nicht.
    Dann erzählte mir der Arzt, daß Pappa eine doppelte ver-schleppte Lungenentzündung hat, und daß er ungefähr sechs Wochen im Krankenhaus bleiben müßte, bis er wieder in Ordnung ist. Also ich brauchte mir keine Sorgen zu machen, meinte er, eine Lungenentzündung ist halb so schlimm. Ich fragte ihn auch, ob er mir die Wahrheit gesagt hatte, und er beteuerte mir, daß dies die volle Wahrheit wäre. Ich war zufrieden und ging wieder zu Pappa ins Zimmer. Er fragte mich gleich, was der Arzt gesagt hatte und ich erzählte es ihm.
    Auf einmal sagte Pappa: »Hier komme ich nicht mehr lebendig heraus.« »Ach, jetzt redest du aber ein Mist.« »Nein, glaub’s mir, und wenn ich begraben werde, möchte ich niemanden an meinem Grab haben außer meine Kinder und meine Mutter.«
    Also somit fünf Personen, Oma, Ralf, Uwe, Daniela und ich.
    »Paß auf, in sechs Wochen springst du wieder rum.« »Und an meinem Grab will ich keinen Geistlichen haben.« Er schien gar nicht wahrzunehmen, was ich sagte. »Jetzt hör doch auf, so einen Mist zu reden, du bist doch ein erwachsener Mann.« »Du glaubst mir nicht, aber du wirst sehen, daß diese Kurpfuscher mich umbringen.« Dann hielt er meine Hand und wir sprachen noch eine ganze Weile, aber nicht vom Sterben.
    Über Mutti sprachen wir auch noch, von der wir immer noch nichts gehört hatten, und einen Satz behielt ich davon am besten im Gedächtnis. Und der lautete: »Ich habe sie geliebt, und ich liebe sie immer noch. Trotzdem könnte ich sie dafür töten, für das, was sie getan hat.« Ich verabschiedete mich dann von Pappa, weil die Schwester mich darauf aufmerksam machte, daß die Besuchszeit um sei.
    Pappa drückte mir die Hand und schaute mich an, als wenn er mich zum letzten Mal sehen würde, und ich sagte ihm, daß ich ihn an meinem nächsten freien Tag wieder besuchen würde.
    Ich war hundertprozentig sicher, daß er in sechs Wochen wieder aus dem Krankenhaus käme. Am Abend fuhr ich dann wieder nach Schönwald und ich dachte immer über den einen Satz nach, den Pappa über Mutti sagte. Ich fragte mich, ob Liebe wirklich so grausam sein kann, daß ein Mensch jemanden lieben kann und ihn trotzdem töten würde für das, was er einem angetan hat. Durch mein langes Nachdenken kam ich zu dem Ergebnis, daß Pappa an und für sich ein weiches Herz hat und ein anständiger Kerl ist. Nur wenn er was getrunken hatte, dann hatte er sich nicht mehr unter Kontrolle, und wenn er jemandem etwas antat, dann tat es ihm am nächsten Tag schon wieder leid, aber er war ein stolzer Mann und wollte sich um seines Stolzes willen bei keinem entschuldigen, da man ihm das vielleicht als Schwäche auslegen könnte. Auch durch die Gedanken, die ich mir machte, merkte ich, daß ich meinen Vater doch gerne hatte und ihn sogar liebte, auch wenn er mal zuschlug und brutal war. Darauf kam ich nur durch den einen Satz, den Pappa sagte. Warum mir gerade der Satz soviel zu denken gab, weiß ich nicht, aber ich war froh, daß mir dieser eine Satz soviel zu denken gab.
     
    Im Geschäft arbeitete ich dann normal und machte mir keine großen Sorgen um Pappa, denn ich war immer noch überzeugt, daß er bald wieder in Ordnung sein würde. Am Freitagmorgen gegen halb acht klopfte es an meine Zimmertüre, ich war gerade dabei, mir Badewasser einlaufen zu lassen.
    Ich zog meinen Morgenmantel an und ging an die Tür und machte auf. Vor der Tür stand die Mutter der Chefin, die auch im Betrieb arbeitete, und sagte zu mir. »Fritz, unten ist ein Telephongespräch für dich.« »Ja, ich komme sofort runter.«
    Ich schlüpfte in meine Hausschuhe und machte meinen Morgenmantel richtig zu. Dann ging ich hinunter ans Telephon. Als ich den Hörer in die Hand nahm, sagte die Mutter der Chefin zu mir: »Erschreck nicht und sei gefaßt.« Ich fragte mich schon, ob die noch alle Tassen im Schrank hat.
    Am anderen Ende war Oma, und da erfuhr ich auch, warum ich gefaßt sein sollte. Pappa war in der Nacht von Donnerstag auf Freitag gestorben. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte, und ich hatte den Hörer in der Hand und schaute ihn an, als wenn er für mich etwas Fremdes wäre. Dann warf ich den Hörer wieder auf die Gabel. Ich sagte mir dann, daß das doch nicht möglich sein kann.
    Ich ging wie betäubt wieder in mein Zimmer und setzte mich in den Sessel. Da kamen mir dann die Tränen, aber richtig geweint habe ich nicht. Gegen halb neun zog ich meine Arbeitskleider an und ging hinunter. Dort setzte ich mich an den
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