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Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Titel: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus
Autoren: Gabriel Heim
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diesen 16.

Osttransport werden viele Funktionäre der jüdischen »Selbstverwaltung« zusammengetrieben. Männer und Frauen, die in den zurückliegenden Jahren das Leben und – immer öfter auch – das Sterben der deutschen Juden zu administrieren hatten. Ihre Hoffnung, durch diese Arbeit noch Schlimmeres zu verhindern, hat sich nicht erfüllt. Marie wird bei der Menschenzählung und dem Schlangestehen vor der Leibesvisitation einige Bekannte getroffen haben, auch ihren Rechtsanwalt Dr. Franz Eugen Fuchs, der zu den festgenommenen Funktionären der Reichsvereinigung gehört. Clara und Gertrud Kantorowicz sind nicht dabei. Die Fahrt des 16.

Osttransports der insgesamt zweihundertundzwei Berliner Jüdinnen und Juden geht im Personenwaggon bis in die weißrussische Stadt Wolkowysk. Dort werden die Menschen in Viehwagen umgeladen, die mit einem Judentransport aus Königsberg gekoppelt werden. Das Transportbuch dokumentiert jetzt siebenhundertundsiebzig Personen. Am Freitag, den 26.

Juni entlädt sich die »Menschenfracht« in Minsk.

    »Die Exekution der nacheinander auf dem Güterbahnhof von Minsk angekommenen Transporte wurde weitgehend auf gleiche Weise durchgeführt: nach der Ankunft am frühen Morgen überwachte eine Gruppe der Dienststelle des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD in Weißruthenien das Ausladen der Menschen und des Gepäcks. Anschließend wurden ihnen auf einem Sammelplatz ihre Wertsachen fortgenommen […] Die Exekutionsstätte von Maly Trostinec lag auf einem Gebiet etwa 15 km südöstlich der Stadt Minsk an der ›Rollbahn‹ oder Landstraße nach Mogilew auf einer ehemaligen Kolchose, die von Kräften der deutschen Polizei bewirtschaftet wurde. Die Insassen der Sonderzüge wurden mit Lastkraftwagen zu neu ausgehobenen Gruben in einem Kiefernwäldchen gebracht, wo 80 bis 100 Schutzpolizisten und Angehörige der Waffen-SS sie mit Schusswaffen umbrachten.«
    Alfred Gottwaldt und Diana Schulle:
Die »Judendeportationen« aus dem Deutschen Reich 1941–1945
    Im Frühjahr und Sommer 1942 gehört die Ankunft von Judentransporten aus dem Reich zur Routine der Mannschaft am Vernichtungsort von Maly Trostinec.

    Minsk, den 3. August 1942
    Gruppe Arlt
    Tätigkeitsbericht
    Die Arbeit der restlichen Männer hier in Minsk bleibt nach wie vor ziemlich dieselbe. Die Judentransporte trafen in regelmäßigen Abständen in Minsk ein und wurden von uns betreut. So beschäftigten wir uns bereits am 18. und 19.6.42 wieder mit dem Ausheben von Gruben im Siedlungsgelände [...]
    Am 26.6. traf der erwartete Judentransport aus dem Reich ein.
    Am 2.7. wurden bereits wieder Vorkehrungen zum Empfang eines Judentransports, Aushebung der Gruben getroffen.
    Maries Transport besteht aus 25 Güterwagen und einem Wagen 3.

Klasse. Achtzehn Begleiter sind dokumentiert. Am Güterbahnhof stehen an diesem Morgen auch die stabilen 7-Tonnen-Laster der Marke Saurer, in Berlin umgebaute Lastwagen, deren Abgase in den hermetisch verschließbaren Transportraum umgeleitet werden können. Wie viele es sind, wissen wir nicht. Doch wissen wir, seit Frühjahr 1942 kommen bis zu drei dieser von der Minsker Bevölkerung »Seelenersticker« genannten Wagen zum Einsatz.
    Die Strecke zum etwa fünfzehn Kilometer entfernten Wäldchen von Blagoweschtschenka, wo die Gruben warten, schafftgenügend Fahrzeit, um die Fracht zu »betreuen«. Es war wohl so, dass die gehbehinderte und durch Flucht und zwei Monate Gestapo-Gefangenschaft geschwächte Marie in einen dieser grauen Lastwagen einsteigen muss. Am Ende dieses von der Mitternachtssonne bis spät erhellten Tages wird das frische Massengrab mit Chlorkalk abgelöscht.
    Stille.
    Eine letzte Postkarte aus Berlin ist übrig geblieben. Lange Zeit habe ich sie nicht beachtet, da sie nicht Maries Handschrift trägt und ich mir keine Mühe damit machen wollte. Abgeschickt ist sie von Erna Löwy, Hektorstraße 20, Berlin-Halensee. Ganz zuletzt fällt mir dieser kleine Karton in die Hand. Er wollte nicht vergessen werden, und das rührt, denn er ist ein letztes Lebenszeichen von Marie. Wie ist es zu der Postkarte gekommen? Erna Löwy arbeitet als Fürsorgerin bei der jüdischen Gemeinde und ist mit Marie bekannt. Wenn Deportationen angesetzt sind, wird sie am Sammelplatz zur Betreuung der Frauen eingeteilt, so auch am 24.

Juni.

    Berlin, den 7.

Juli 1942
    Liebe Ilse,

    wollte Dir nur mitteilen, dass ich mich vor ca. 8 Tagen von Mieze verabschiedet habe. Sie ist in guter
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