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Ich war Hitlerjunge Salomon

Ich war Hitlerjunge Salomon

Titel: Ich war Hitlerjunge Salomon
Autoren: Sally Perel
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sprach wie die anderen, ich war mit Leib
    und Seele Mitglied dieser Gruppe, sowohl in der Erscheinung
    als auch innerlich.
    Heute sehe ich klar. Mein damaliges Verhalten spottete jeder
    Logik, und es fällt schwer, es zu begreifen und zu beurteilen.
    Dennoch war es so.
    Eines Tages prallten die beiden Identitäten aufeinander
    und brachten mich aus dem Gleichgewicht. Es passierte im
    Rassenkundeunterricht. Der Lehrer rief mich auf und bat mich,
    die Notwendigkeit der Vernichtung der jüdischen Rasse zu
    erklären. Verdutzt und fassungslos ging ich zum Podest, um
    zu antworten. Wut und Ekel tobten in mir, zugleich sammelte
    ich all meine Überlebenskräfte. Nur der Satan konnte eine
    derartige Frage stellen und von einem solch besonderen Schü-
    ler wie mir die Antwort erwarten. Als Bester unter meinen
    Kameraden zu gelten, verlangte mir viel ab. Doch in diesem
    präzisen Fal mußte ich meinem verwirrten Geist neue Kräfte
    abringen, deren Existenz mir bis dahin unbekannt war. Plötz-
    lich stieß meine Vergangenheit mit der Gegenwart zusammen
    und deckte das trostlose Paradox in seiner ganzen Schärfe auf.
    Gerade ich sollte mich zu diesem Verbrechen äußern! Ich war
    in einer entsetzlichen Verlegenheit, wußte aber, daß ich mich
    für die Zeit der Antwort beherrschen mußte. Ich hatte wohl
    einen unendlichen Selbsterhaltungstrieb. Unter innerlichen
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    Qualen erklärte ich dem rassistischen Lehrer, was ich wußte.
    Kein äußeres Zeichen deutete auf den Sturm, der in mir heulte.
    Ich hatte den Eindruck, daß ihn mein Wissen befriedigte, und
    wahrscheinlich erhielt ich eine ausgezeichnete Note.
    Trotz der sich von Tag zu Tag verschlechternden Lage an der
    Front war die Stimmung in der Bevölkerung gut. Sie wurde
    sogar noch besser dank der ermutigenden Gerüchte, die die
    Deutschen in ihren Hoffnungen bestärkten. Man munkelte,
    daß eine Geheimwaffe am Ende den Krieg für die Deutschen
    entscheiden würde. Man tuschelte, daß es fünf Minuten vor
    zwölf sei, daß der Führer bald den Daumen heben würde, um
    das Signal zum Abwurf einer Waffe auf die Schlachtfelder zu
    geben, deren Zerstörungskraft in der Militärgeschichte ein-
    malig sei. Nach dem Krieg erfuhr ich, daß Nazi-Deutschland
    fieberhaft an der Atombombe gearbeitet hatte und kurz vor
    deren Herstellung stand.
    In der HJ-Schule herrschte eine eigenartige Gleichgültigkeit,
    trotz der veränderten Frontlage. Am 6. Juli 1944 entstand
    mit der Landung der Alliierten in der Normandie eine zweite
    Front. Gleichzeitig erzielte der große russische Durchbruch
    entscheidende Siege. Die Sowjetarmee befreite die von den
    Nazis eroberten Gebiete, marschierte über die polnische Grenze
    und fügte der Wehrmacht schwere Verluste zu.
    Der Krieg war faktisch entschieden. Währenddessen pfleg-
    ten wir in der Schule unsere Großmachtsträume. Auch mich
    machte die veränderte Lage nicht wankend. Ich war tief in
    diese mir aufgezwungene Welt verstrickt, und die Dinge hatten
    meinen Verstand endgültig betäubt. Mein Bewußtsein war
    so umnebelt, daß kein Lichtstrahl der Realität eindrang. Ich
    fühlte mich weiterhin wie »einer von ihnen«. Unerbittlich hieß
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    ich die abenteuerlichen und gefährlichen Maßnahmen der
    letzten deutschen Anstrengungen gut. Ich sorgte mich nicht
    mehr um mein Schicksal nach der Niederlage der Wehrmacht.
    Als das Reich schon in Todeszuckungen lag, nahm ich, wie
    gewöhnlich, an den verzweifelten Rettungsversuchen teil. Wir
    schlossen uns dem Volkssturm an, der »spontanen« Truppe
    aus Kindern, Hitlerjungen, Frauen, Greisen … aus all jenen,
    die noch eine Waffe halten konnten, um die Grenzen des
    Vaterlandes gegen den anrückenden Feind zu verteidigen.
    Anfang 1945 wurden wir in den Wäldern um Braunschweig
    an einer neuen Panzerabwehrwaffe, der Panzerfaust ausgebil-
    det. Endlich bekamen wir eine Waffe in die Hand. Meine
    Kameraden hielten sich schon für alte Kämpfer … Die Waffe
    war einfach und wirksam, aber ihre Handhabung gefährlich.
    Drückte man auf den Abzug und feuerte die Panzerfaust ab,
    schoß hinten eine lange Flamme heraus. Mehrere Kameraden
    erlitten dabei schwere Verbrennungen.
    Man stel te eine Kompanie zusammen und schickte uns an
    die Westfront. Meine Erfahrung brachte mir die Ernennung
    zum Zugführer ein. Wir hatten Straßenbrücken zu überwachen
    und sollten die Wehrmacht bei der Zerstörung feindlicher
    Panzer unterstützen. Die Zeitungen veröffentlichten Fotos,
    auf denen Hitler im Volkssturm
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