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Ich war der Märchenprinz

Ich war der Märchenprinz

Titel: Ich war der Märchenprinz
Autoren: Arne Piewitz
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alle Möglichkeiten offen läßt. Erstmal finde ich’s beruhigend, wenn sie nichts von mir will.

    Sie steht auf Märchen. (Kein Wunder, daß es dann mit der Antifa-Arbeit nicht so richtig hinhaut!) Ich steh auf verrückte Leute. Individueller Spinnkram — davon muß es viel mehr geben.

    Sie erzählt was von Liebe zur Natur, will morgens aus ’ner Holzhütte im Wald barfuß auf die Wiese laufen, aber nicht aus der Stadt wegziehen. Sie wirkt appetitlich wie ein dotterfrisches Landei. Und blubbert und blubbert. Ich sage »König Drosselbart ist aber ein ganz harter Macker, wie der seine Freundin fertig macht, das geht doch echt zu weit«, und sie antwortet, ich brauchte sie nicht zu agitieren, sie wüßte, daß in den Märchen viel reaktionäres Zeugs drinsteht, aber sie würde sie trotzdem gerne lesen. Guckt mich an. Ich gucke sie auch an, und der Blick dauert einen Moment zu lange, und wir wissen beide, wir sind auf der Katastrophenschiene.
    Sie hat sehr schöne Zähne. Das ist für mich besonders wichtig, ich kriege ein Wahnsinnssperre, wenn ich ein Trümmergrundstück küssen muß. Sie hat ein Gedicht geschrieben, es heißt »Der Märchenprinz«. Ich merke, sie will es mir eigentlich aufsagen, aber sie ziert sich. Muß ja ’ne Granate sein. Wahrscheinlich will sie meine Reaktion testen. Das Gänseblümchen entblättert sich — tut so, als hätte sie’s nicht mehr ganz im Kopf, ich warte, lasse ihr Zeit, je länger sie rumkokettiert, desto zwingender wird, daß sie’s rausläßt, und dann kommt’s:

    fiel er da nicht eben?
    von seinem weißen Schimmel
    mit goldfließender nase
    und einer Mine
    aus stein und bein.
    fiel er da nicht eben
    verlegen
    und hart, ungewaschen
    seine schwarzen socken
    unter blitzenden zähnen
    der ziegenbart
    unter dem flatternden frack
    das sausen in blitzblanker brust.

    Weiter weiß ich nicht mehr. Ist auch unerheblich, das geht immer so weiter. Oder so ähnlich. Linke Frau, 24, Dichterin, Fachgebiet neueste deutsche Innerlichkeit, Abteilung Lore-Roman in modernen Versen, bei der Arbeit. Mit einem schönen Gruß von Hedwig Courths-Mahler. Denke ich, sage ich aber nicht. Ein Fehler?
    Jedenfalls, die junge Frau hat sexuelle Phantasien. Will sie die bei mir austoben? Soll ich mir das Hemd sicherheitshalber etwas weiter zuknöpfen? Mir fällt auf, daß ich an meinem Schnurrbart rumdrehe. Meine Haare sind frisch gewaschen. Ach was, der Laden ist geöffnet. Und sie ist irgendwie — proper.

    Wir sind 11/2 Stunden rumgelatscht. Ich gehe gern spazieren, betrachte das nicht etwa als notwendig-mühsame Investition. Ich bin auch etwas ausgehungert, Sabine war immer so furztrocken. Ernst, nie albern. Ziemlich spießig, total erfolgsorientiert, was das Studium angeht. Machte bei keiner politischen Action mit, konnte überhaupt nicht ausflippen. Aber Ansprüche! Wenn beim Hauptbahnhof eine unangemeldete Demo läuft, und die Bullen sind auf Hasenjagd, dann bist du froh, wenn du da einigermaßen heil rauskommst. Eine Frau, die glaubt, daß ihr Freund in so einer Situation die Verabredung für’s Kino pünktlich einhalten kann, die ist in ihrem politischen Bewußtsein eben ein ziemliches Stück hinterher. Da gibt’s auch gar nichts weiter zu diskutieren, da muß die politische Arbeit eben Vorrang haben. Ok, ich habe auch Fehler gemacht. Bin ein paar Mal nicht erschienen, obwohl nichts Ernsthaftes anlag, hab’ dann zu Hause irgendwelchen Kram erledigt und so, ich weiß, das war auch viel Scheiß, den ich da gebaut habe. Aber das läßt sich jetzt auch nicht mehr gerade biegen. Trotzdem — Sabine hat eine ziemliche Lücke bei mir gerissen. Irgendwie habe ich die »Beziehung« zu ihr noch nicht überwunden. Ich hätte nicht alleine in Urlaub fahren sollen, ich hätte alles versuchen müssen, daß sie mitkommt. Als ich wiederkam, hatte sie sich in der Zwischenzeit entschlossen, Schluß mit mir zu machen. Ich hab’ ’n Durchhänger, irgendwie. Zeit, daß was Neues passiert! Ja, ich glaube, ich bin etwas ausgehungert...

    Im Park setzen wir uns auf eine Wiese. Sie legt sich hin. Ich sitze neben ihr. Laufen viele Hunde rum, ich spiele ein bißchen mit denen. Einer springt über sie rüber. Sie schreit auf. Nein, sie schreit nicht — sie kreischt. Noch nie habe ich einen Menschen so kreischen gehört. Irrsinnig laut und wahnwitzig hoch. Die Hunde flüchten. Im Umkreis von 500 Metern müssen alle Glühbirnen zersprungen sein. Ein Kreischen — unbegreiflich. »Wenn es schlimmer wird, ruf’ ich
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