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Ich und andere uncoole Dinge in New York

Ich und andere uncoole Dinge in New York

Titel: Ich und andere uncoole Dinge in New York
Autoren: Julia K. Stein
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mich mit großen, hellblauen Augen an. Er hat dunkelblonde Haare und einige Strähnen fallen ihm ins Gesicht.
    „Hier, ich habe einen zu viel.“ Er drückt mir das Glas in die Hand, das mit einer rötlichen Flüssigkeit gefüllt ist. „Vodka Kirsch“, sagt er.
    „Woher weißt du, dass ich Deutsche bin?“
    „Ich hab’s gesehen.“ Er zuckt mit den Schultern.
    „Aber woran denn?“ Ich probiere einen Schluck. Das sämige Zeug schmeckt sehr süß und künstlich. Er lächelt mich an. Dabei entblößt er quadratische Schneidezähne, die ein wenig auseinanderstehen – wie auf der Packung für Kinderzwieback. Er hat ein hübsches Gesicht, unschuldig irgendwie.
    „Ich weiß nicht. Vielleicht die Art, wie du deine Haarspange hinten in die Haare geklemmt hast, deine hohen Wangenknochen. Du siehst deutsch aus.“
    Ich will nicht sofort als Deutsche erkannt werden. Die Mädels an meiner Schule, die für ein Schuljahr in den USA waren, haben erzählt, dass sie immer für Amerikanerinnen gehalten werden. Seit ihrer Rückkehr reden sie allerdings Deutsch mit einem pseudo-amerikanischen Akzent und vergessen in einer Art Austausch-Jahr-Alzheimer alle möglichen deutschen Wörter, so dass sie ständig halb auf Englisch, halb auf Deutsch daherquatschen. Und ich schaffe es noch nicht einmal fünf Minuten als Amerikanerin durchzugehen.
    „Ist doch nicht schlimm. Deutschsein ist doch keine Krankheit. Ich bin Peter.“ Er lächelt. Er hat meine Gedanken gelesen.
    „Ich habe noch nie darüber nachgedacht, dass ich deutsch aussehe.“
    „Dann bist du noch nicht lange in New York. Sonst hätten dir schon viele Leute gesagt, dass du deutsch oder schwedisch aussiehst. Das können die Amis nie auseinanderhalten“, sagt er, als wäre er nicht selbst Amerikaner. Aber er spricht eindeutig mit amerikanischem Akzent. „Amerikanische Männer finden das super: groß, blond und blauäugig, am besten noch einen großen Busen – das sind die Stars hier.“
    Groß bin ich, nicht riesig, aber immerhin ein Meter und zweiundsiebzigeinhalb Zentimeter. Blond wahrscheinlich nur in dem komischen Licht hier. Aber meine Augen sind eindeutig grau und einen großen Busen habe ich schon gar nicht. Unauffällig überprüfe ich, ob er mir auf den Busen starrt. Er blickt aber ganz harmlos in mein Gesicht, so dass ich ihn zumindest im Moment nicht überführen kann. „Woher kannst du so gut Deutsch?“
    „Ich habe mal einen Schü leraustausch in Bremen gemacht.“ Er zuckt mit den Schultern. „Meine Mutter kommt ursprünglich aus Deutschland. Deshalb hat sie mich auch Peter genannt. Heidi und Peter, nicht wahr? Und was machst du in New York?“, fragt Peter.
    „Ich programmi ere für Scirox, jedenfalls ab morgen.“ Keine Ahnung, warum ich das sage. Aber hört sich besser an als: Ich bin hier, weil meine Mutter sich in einen Künstler verknallt hat. Es passt außerdem zu meiner neuen Großstadt-Identität.
    „Wie nett. Die stellen also noch Leute ein. Dann ist Scirox wohl doch noch nicht pleite.“ Er nimmt einen Schluck aus seinem Glas. Seine Lippen sind vom Kirschsaft rosa verfärbt. Er hat einen hübschen Mund, schön geschwungen, mit Mundwinkeln, die direkt in Grübchen münden.
    „Scirox geht es super“, versichere ich nachdrücklich, als hätte ich auch nur den blassesten Schimmer, und versuche, nicht mehr auf seinen Mund zu sehen. „Und was machst du hier?“
    „Normalerweise gehe ich hier aufs Internat, aber diesen Sommer belege ich Kurse an der New York University“, sagt er ausweichend, als wollte er nicht weiter darüber sprechen. „Aber Programmieren kann ich auch.“ Zum Glück springt in diesem Moment eines der Cowgirls auf den Tresen und klatscht sich mit der flachen Hand auf die Pobacke. Ein paar Jungs an der Bar grölen.
    „Willst du noch einen?“ Er hält sein leeres Glas hoch. Meins ist noch voll. Ich nicke schnell und spüle die Hälfte herunter. Hauptsache, er fängt jetzt nicht mit so einem Fachkauderwelsch übers Programmieren an. Meine Güte, das konnte ja niemand ahnen.
    „Hey, Judith. Ich habe dich schon überall gesucht.“ Neben mir steht Rachel. Ihre Locken schimmern feucht und kringeln sich noch stärker als vorher. Sie muss noch mal draußen gewesen sein. Ihre Augen glänzen, als hätte sich Regen darin gesammelt. Das Weiß ihrer Augen ist allerdings gerötet.
    „Das ist Peter – er war schon mal in Deutschland“, stelle ich Peter vor, als wäre das das Wichtigste an ihm. „Ist nett da, solltest du auch mal
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