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Ich bin Nummer Vier

Ich bin Nummer Vier

Titel: Ich bin Nummer Vier
Autoren: Lore Pittacus
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fliegt er, mal duckt er sich, dann greift er wieder an. Wir ringen miteinander und lachen, bis ich Bauchweh habe. So vergeht der Tag in der unbekümmerten Sorglosigkeit der kindlichen Unschuld.
    Nach fünfzehn Minuten, vielleicht weniger, wird die Tür geöffnet und geschlossen. Ich schaue hoch, und da stehen vor mir mein Großvater und dieser Mann.
    »Hier ist jemand, den du kennen lernen solltest«, sagt Großvater.
    Ich stehe vom Gras auf und klatsche in die Hände, damit der Schmutz abfällt.
    »Das ist Brandon«, stellt Großvater den Mann vor. »Er ist dein Cêpan. Weißt du, was das bedeutet?«
    Ich schüttle den Kopf. Brandon. So hieß er. Nach all den Jahren erinnere ich mich erst jetzt daran.
    »Es bedeutet, dass er von jetzt an viel Zeit mit dir verbringen wird. Ihr beide gehört jetzt zusammen. Ihr seid miteinander verbunden. Verstehst du das?«
    Ich nicke, gehe zu dem Mann und strecke ihm die Hand entgegen, wie ich es schon oft bei Erwachsenen gesehen habe. Der Mann lächelt und kniet auf einem Bein nieder. Er nimmt meine kleine Hand in seine rechte und schließt die Finger um sie.
    »Ich freue mich, Sie kennen zu lernen, Sir«, sage ich.
    Strahlende, freundliche Augen, die Lebensfreude versprühen, blicken in meine, als wollten sie ein Versprechen, eine Bindung anbieten – doch ich bin zu jung, ich weiß nicht, was Versprechen oder Bindung wirklich bedeuten.
    Er nickt mir lächelnd zu und legt seine Linke auf seine Rechte, meine winzige Hand ist irgendwo in der Mitte versteckt. »Mein liebes Kind, die Freude ist ganz auf meiner Seite.«
    ***
    Unsanft werde aus dem Schlaf gerissen. Ich liege auf dem Rücken, mein Herz rast und ich atme so schwer, als wäre ich gelaufen. Die Augen lasse ich geschlossen, doch die Schatten hinter meinen Lidern und die frische Luft im Raum sagen mir, dass die Sonne gerade aufgegangen sein muss. Der Schmerz kehrt zurück, meine Glieder sind noch schwer. Und mit dem Schmerzeinher geht eine andere, sehr viel größere Qual als alle physischen Leiden, die mir je zugefügt werden könnten – die Erinnerung an die vergangenen Stunden.
    Ich hole tief Luft, atme aus, eine Träne läuft mir übers Gesicht, ich lasse weiter die Augen geschlossen in der irrationalen Hoffnung, dass der Tag mich nicht sieht, wenn ich ihn nicht sehe, dass die Dinge der Nacht ungeschehen gemacht werden können. Mein Körper erzittert und das leise Weinen wächst zu einem heftigen Weinkrampf an. Ich weiß, dass Henri tot ist und dass alle Hoffnung der Welt das nicht ändern kann.
    Dann bewegt sich etwas neben mir; ich spanne mich an und versuche reglos zu bleiben, um nicht entdeckt werden. Eine Hand berührt meine Wange so zart, dass es etwas mit Liebe zu tun haben muss. Ich schlage die Augen auf, gewöhne mich an das Morgenlicht und erkenne die Zimmerdecke eines fremden Raums. Wo bin ich, wie bin ich hierhergekommen? Sarah sitzt neben mir und fährt jetzt mit ihrem Daumen meine Augenbraue nach, beugt sich herunter und küsst mich so zart und anhaltend, dass ich mir wünsche, ich könnte diesen Kuss konservieren und für immer aufbewahren. Dann hebt sie den Kopf. Ich atme tief durch, schließe meinen Augen und küsse sie auf die Stirn.
    »Wo sind wir?«, frage ich.
    »In einem Hotel dreißig Meilen von Paradise entfernt.«
    »Wie bin ich hierhergekommen?«
    »Sam hat uns hergefahren.«
    »Was ist passiert? Dass du gestern Nacht bei mir warst, weiß ich noch, aber danach nichts mehr. Es kommt mir beinahe wie ein Traum vor.«
    »Ich habe mit dir auf dem Sportplatz gewartet, bis Mark gekommen ist und dich zu Sams Truck getragen hat. Ich konnte mich nicht länger versteckt halten, ohne zu wissen, was los war. Und ich hatte das Gefühl, ich könnte dir irgendwie helfen.«
    »Was du getan hast«, sage ich. »Du hast mir das Leben gerettet.«
    »Ich habe einen Alien getötet«, sagt sie, als hätte sie das immer noch nicht richtig begriffen.
    Sie schlingt die Arme um mich und legt die Hand auf meinen Hinterkopf. Ich versuche aufrecht zu sitzen und sie hilft mir dabei, vorsichtig, damit sie die Dolchwunde an meinem Rücken nicht berührt. Ich rutsche auf die Bettkante und betaste die Narben um meinen Knöchel. Immer noch drei. Sechs hat also überlebt. Ich hatte mich schon fast damit abgefunden, den Rest meiner Tage allein zu verbringen, als einsamer Wanderer ohne Heimat, ohne Ziel. Aber ich bin nicht allein. Sechs ist noch da, immer noch bei mir, meine Verbindung zu einer vergangenen Welt.
    »Ist mit Sechs alles
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