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Ich bin eine Nomadin

Ich bin eine Nomadin

Titel: Ich bin eine Nomadin
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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einen Bewohner zu mehr Hygiene. »Wasch dir die Hände. Geh nicht ungewaschen zum Bottich, daraus trinken wir alle.«
    »Was?«, fragte der angesprochene junge Mann mit einem schiefen Grinsen. »Hände waschen? Womit denn? Es ist kein Wasser mehr da.« Tatsächlich hörte man am Klirren, mit dem die Alukelle auf den Boden des Bottichs schlug, dass er leer war. Die älteren Frauen jammerten und flehten die jüngeren an, Wasser zu holen. In diesem Tumult ging die Sorge um die Hygiene unter.
    Es wurde viel geredet, gezetert, geklatscht und über die habash hergezogen; das ist das somalische Wort für Äthiopier. Jeder Satz, der gesprochen wurde, endete mit »So Allah will« oder »Um Allahs willen«.

    Im Auto, das mich nach meiner zweifellos letzten Begegnung mit meinem Vater zum Flughafen brachte, dachte ich darüber nach, warum ich mich eigentlich so lange von ihm und meiner Familie ferngehalten hatte. Ich kam zu dem Schluss, dass es das Gesetz war, nach dem ein Mann einfordern muss, dass seine Frauen, also seine Ehefrauen und Töchter, ihm gehorchen und sich ihm unterwerfen. Verweigern die Frauen einem Mann die Unterwerfung, beschädigen sie ihn, seinen guten Namen, seine Autorität, den Eindruck, dass er loyal, stark und verlässlich ist. Diese Sitte rührt von der Grundüberzeugung her, dass das Individuum keine Rolle spielt. Die Entscheidungen und Wünsche des Einzelnen sind ohne jede Bedeutung, insbesondere, wenn es sich um eine Frau handelt.
    Diese Vorstellung von Ehre und männlichem Machtanspruch schränkt die Handlungsmöglichkeiten von Frauen drastisch ein. Auf jedem Muslim lastet ein ganzes Kultur- und Religionssystem, doch die disproportional schwerste Last tragen die Frauen. Allah und der Prophet sowie der Vater und der Ehemann, die unser Vormund sind, verpflichten uns zum Gehorsam, zu Keuschheit und Scham. Wie ihre Geschlechtsgenossinnen in Ostafrika tragen auch die Frauen an der Whitechapel Road die Last dieser Verpflichtungen und religiösen Regeln, die sich im Islam so obsessiv auf Frauen konzentrieren.
    Ich spürte noch immer schmerzhaft die Schande, die ich über den guten Namen meines Vaters gebracht hatte. Weil ich Apostatin war, vom Glauben abgefallen, und mittlerweile das Leben einer westlichen Frau führte, hatte ich ihn verletzt, ihm geschadet, ja, ihn entehrt. Doch ich wusste auch, dass meine Rebellion notwendig war, lebensnotwendig.
    Sahra hatte einen anderen Weg eingeschlagen. Sie rebellierte nicht. Magool hatte mir erzählt, dass Sahra tief religiös sei und einen Dschilbab trug, einen langen schwarzen Umhang, der das Haar, den gesamten Körper, Hand- und Fußgelenke, nicht aber das Gesicht bedeckt. Sahras schwarzes Gewand reichte über die Fingerspitzen und schleifte am Boden. Mit jedem Wort und jeder Geste drückte sie ihre Unterwerfung unter Allahs Willen und die Autorität der Männer aus.
    Der muslimische Schleier, die verschiedenen Masken, Tücher und Burkas, sind Stufen der geistigen Versklavung. Wenn eine Frau um Erlaubnis bitten muss, um das Haus zu verlassen, und sich dann unter langen Gewändern verstecken, sich ihres Körpers schämen und Begierden unterdrücken muss: Hat sie dann überhaupt noch einen Lebensbereich, den sie ihr Eigen nennen kann?
    Der Schleier weist Frauen dezidiert als Besitztümer aus, als Nicht-Personen. Er grenzt Frauen von Männern und von der Welt ab. Er zügelt sie, schränkt sie in ihrer Bewegungsfreiheit ein, erzieht sie zur Fügsamkeit. Man kann jemanden geistig ebenso einengen wie körperlich, und der muslimische Schleier schränkt sowohl das Sehvermögen als auch die Aussichten ein. Er steht für eine Art Apartheid, die allerdings in diesem Fall nicht die Herrschaft einer Rasse über eine andere bedeutet, sondern die eines Geschlechts über das andere.
    Auf der Fahrt durch die Whitechapel Road zum Flughafen stieg Wut in mir auf, Wut darüber, dass diese Unterwerfung von den Briten und so vielen anderen westlichen Gesellschaften, in denen die Gleichberechtigung der Geschlechter gesetzlich verankert ist, schweigend toleriert, wenn nicht gar gebilligt wird.

    Vor meinem Abflug rief ich Sahra an und erzählte ihr, dass ich meinen Vater besucht habe und auf dem Rückweg in die Vereinigten Staaten sei. »Du bist ja wirklich eine Glückliche!«, sagte sie auf Somali und lachte über das Wortspiel mit meinem Namen Ayaan, »glücklich«. »Seit du ihn vor ein paar Wochen angerufen hast, hat er ununterbrochen von dir gesprochen.«
    Wir unterhielten uns ein
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