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Ich bin ein Genie und unsagbar böse

Titel: Ich bin ein Genie und unsagbar böse
Autoren: Josh Lieb
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Blick. Daddy senkt ständig bescheiden den Blick, als hätte er Angst, all den Leuten in die Augen zu blicken, die ihn vermeintlich bewundern.
    »Du hast das Richtige getan«, plappert Mom und beugt sich auf ihren Ellbogen vor, um ja keine Silbe zu verpassen. »Du tust immer das Richtige!« Die Arme weiß es nicht besser.
    Mom zu heiraten war das »einzig Richtige«, das er je getan hat. Das war ungefähr sechs Monate nach ihrem ersten Date, während ihres Abschlussjahres an der University of Nebraska. Ich besitze ein Foto von diesem Date ( siehe Bild 7 ) - es war auf irgendeiner Tanzveranstaltung. Mom sieht aus wie eine strahlend blonde Cheerleaderin. Daddy versteckt sich halb hinter ihrem Rücken - ein verklemmter, linkischer Langweiler, der irgendwie den Mut aufgebracht hat, diese Fruchtbarkeitsgöttin einzuladen, und immer noch nicht glauben kann, dass sie Ja gesagt hat. Dann haben sie also geheiratet, und ein paar Monate später 27 wurde ich geboren, was letztendlich dazu führte, dass ich mit diesem Typen jetzt jeden Tag zu Abend essen muss. Mom besteht darauf. Daddy und ich würden lieber allein auf unseren Zimmern essen.

    Bild 7 : Ich besitze ein Foto von diesem Date - es war auf irgendeiner Tanzveranstaltung.

    Aber ich sollte ihn seine Geschichte zu Ende erzählen lassen: »Dann hat er mir noch mehr Geld angeboten, was mich nur darin bestätigt hat, bei meiner Arbeit genau am richtigen Fleck zu sein. Ich meine, schließlich bin ich nicht wegen des Geldes da gelandet, wo ich jetzt bin.«
    Da hat er zweifellos recht. Daddy betreibt den Ableger eines lokalen öffentlichen Fernsehsenders. Unter anderem zeigen sie die Sesamstraße . Mögt ihr die Sesamstraße ? Okay, Daddy hat nichts damit zu tun. Außerdem meint er, dass die Sesamstraße »für heutige Pre-Tweens nicht mehr zeitgemäß« sei. Sie ist aber so beliebt, dass sie weiterhin gesendet werden muss.
    Also in Wahrheit macht Daddy Folgendes: Wenn ihr einen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender einschaltet, dann könnt ihr manchmal einer korpulenten, überschätzten Opernsängerin beim Singen und Schwitzen (vor allem beim Schwitzen) zusehen. Alle sieben Minuten wird ihr Auftritt von zwei Leuten unterbrochen, die ständig lächeln. Normalerweise handelt es sich um einen bebrillten Mann und eine Frau, deren Zähne zu groß für ihren Mund sind. Beide sehen aus, als hätten
sie sehr schlechten Atem. Hinter ihnen sitzen etwa zwanzig gelangweilte Leute an einem Tisch und nehmen Telefonanrufe entgegen. Der Mann und die Frau bitten euch in einer Tour, die eingeblendete Telefonnummer anzurufen und dem Sender ein bisschen Geld zu spenden, damit er auch weiterhin seine übergewichtigen, schwitzenden Opernsänger zeigen kann.
    Daddy ist dafür zuständig, diese außergewöhnlichen Geldbeschaffungsmaßnahmen zu organisieren. Manchmal ist er sogar als lächelnder Mann mit Brille auf dem Bildschirm zu sehen. Kennt ihr ihn? Sein Gesicht ist ein knochiges Dreieck, die langen Haare seiner 80er-Jahre-Frisur kitzeln ihn im Nacken, während alle Sünden dieser Welt auf seinen schmalen Schultern zu lasten scheinen.
    Obwohl ich mich also über ihn amüsiere, muss ich doch zugeben, dass er eines besser kann als ich: betteln.
    Ich lasse ein Stück Rosenkohl in meinem Mund hin und her wandern, schlucke es geräuschvoll herunter und schaue ihn mit meinem aufrichtigsten Kleiner-Junge-sucht-Antwort-Blick an: »Aber könntest du Mom nicht Geschenke machen, wenn du mehr Geld verdienen würdest?«
    Daddy antwortet mit seiner sanftesten Habe-ich-dirdenn-gar-nichts-beigebracht-Stimme: »Manche Dinge sind wichtiger als Geld, Ollie.«
    »Und ich brauche auch keine unnötigen Geschenke«, sagt Mom. Sie nimmt unsere Hände. »Ihr seid alles, was ich brauche.«
    »Genau«, sagt Daddy, indem er seine Hand zurückzieht. »Deine Mutter hat alles, was sie sich nur wünschen kann.«
    Was nicht ganz der Wahrheit entspricht. Ich weiß zum Beispiel, dass sie sich eine neue Geschirrspülmaschine
und einen aufwendigen neuen Osterhut wünscht. Sie hat auch viel für teure Schokolade und Tierbabyporzellanfiguren übrig. In Wahrheit hat einer meiner Untergebenen ihm heute einen Job angeboten, damit er Mom diese Dinge kaufen kann. 28
    Aber da hatte ich mich wohl verrechnet. Denn einer der größten Vorzüge von Daddys Job besteht darin, dass er es sich erlauben kann, andere, bessere Jobs abzulehnen. Er tut dies in der Gewissheit, das Richtige zu tun, und gibt beim Abendessen damit an, und Mom gratuliert
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