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Hymne an Die Nacht

Hymne an Die Nacht

Titel: Hymne an Die Nacht
Autoren: Sylvia Madsack
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Siebenbürgen. Mein Englisch habe ich während eines zweijährigen Aufenthalts in New York gelernt. Genügt Ihnen das?«
    »Noch nicht ganz.« Sie lächelte zum ersten Mal. »Ihre Verbindung zu Stanislaw von Lugosy, wie kam die zustande?«
    »Ich habe bisher nicht direkt mit ihm zu tun gehabt«, er sah sie von der Seite an, ohne ihr Lächeln zu erwidern, »eine Tante von mir hat den Kontakt vermittelt, sie scheint eine alte Freundin des Grafen zu sein. Allerdings kenne ich diese Tante kaum, ich bin ihr nur zweimal begegnet.«
    »Finden Sie das nicht seltsam?«, murmelte sie. »Wo sie doch eine so nahe Angehörige ist?«
    »Ach«, er zuckte mit den Achseln, »in Transsylvanien ist manches seltsam, die Leute dort sind irgendwie … nun ja, anders eben.«
    »Wie meinen Sie das? Das ist doch auch Ihre Heimat.«
    »Ja, aber meine Tante entstammt der rumänischen Linie unserer Familie mütterlicherseits, während mein Vater ungarische Vorfahren hat.«
    »Ich verstehe.« Was nicht ganz stimmte. Joanna fand diese Darstellung verwandtschaftlicher Beziehungen ziemlich verwirrend. Es schien ihr aber der richtige Moment für eine andere Frage, die sie beschäftigte, seitdem sie wusste, dass sie durch Stanislaw ebenfalls ungarische Vorfahren hatte.
    »Sagen Sie, Tomas … wie soll man sich das als unkundiger Ausländer vorstellen, das Verhältnis zwischen Rumänen und Ungarn?«
    Er hielt den Blick auf die Straße gerichtet, der Verkehr war inzwischen dichter geworden. »Was genau wollen Sie wissen?«
    Es kam ihr vor, als wolle er nicht gern darüber sprechen. Sie schürzte die Lippen und sah ihn an. »Habe ich etwas Falsches gefragt?«
    »Nein«, sagte er rasch, »aber die Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Vielleicht erklärt es schon einiges, wenn ich Ihnen sage, dass Transsylvanien über einen Zeitraum von achthundert Jahren zum Königreich Ungarn gehört hat.«
    Sie nickte nachdenklich, während sie an einer Ikea-Filiale vorbeifuhren, die sich in der kargen Landschaft wie eine träge Masse ausgebreitet hatte und dort seltsam fehl am Platz wirkte, ähnlich wie die Reklametafeln, mit denen für Coca-Cola und weltweit operierende Computerfirmen geworben wurde.
    »Momentan sind Semesterferien«, sagte er nach einer Weile, »daher konnte ich diesen Auftrag annehmen.«
    Sie hatten die Stadtautobahn verlassen und mussten vor einer Ampel halten. Joanna nutzte die Gelegenheit, um ihn genauer zu betrachten. »Für einen Universitätsprofessor erscheinen Sie mir reichlich jung, Tomas.«
    »Ich betrachte das als Kompliment. Wenn man das Studium nicht verbummelt, ist man mit spätestens Mitte zwanzig damit fertig, danach wird man Assistent, und mit etwa dreißig kann man Professor sein.«
    »Gefällt Ihnen Ihr Beruf?«
    »Ja. Wir werden zwar viel schlechter bezahlt, als Sie sich das im Westen vorstellen können, aber ich bin Historiker aus Leidenschaft und kann genau das tun, was mich interessiert.«
    An den Straßenschildern sah sie, dass sie sich dem Stadtzentrum näherten. Erneut hielten sie an einer Ampel, diesmal an einer großen Kreuzung. Joannas Blick fiel auf ein riesiges Werbeplakat, das einen ungewöhnlich attraktiven Mann mit leuchtend blauen Augen und dichtem schwarzem Haar zeigte. Sie deutete nach draußen. »Wer ist das?«
    Er folgte ihrem Blick. »Dort wird für den neuen Film mit unserem Superstar Vadim geworben«, erwiderte er spöttisch. »Soweit ich weiß, handelt es sich um einen Vampirschinken, der es mit der Historie nicht so genau nimmt. Aber die Zuschauer sind verrückt nach Vadim. Man kann es verstehen, oder?«, setzte er mit veränderter Stimme hinzu.
    Ja, auch Joanna verstand es. Vor dem Hintergrund eines flammenden Sonnenuntergangs blickte der Schauspieler dem Betrachter direkt entgegen, und von seinem Gesichtsausdruck ging etwas derart Suggestives aus, eine so unwiderstehliche Verführungskraft, dass man in das Bild geradezu hineingesogen wurde.
    Die Ampel schaltete auf Grün, doch Joanna und Tomas starrten noch immer auf das Plakat. Erst das Hupen hinter ihnen holte sie in die Wirklichkeit zurück. Schweigend fuhren sie weiter, bis sie in eine weitläufige Allee einbogen, die in Anlage und Großzügigkeit an die Champs-Élysées erinnerte und in krassem Gegensatz zu alldem stand, was sie zuvor gesehen hatte.
    »Das ist der Unirii-Boulevard«, erklärte Tomas, »über den haben Sie sicher schon in Ihrem Stadtführer gelesen.«
    Joanna schwieg und wandte den Blick nach rechts zu den flanierenden
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