Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch
Autoren: Johannes Mario Simmel
Vom Netzwerk:
geschützt.«
    »Gib her«, sagte er heiser, entriß dem entgeisterten Hasen die Waffe und rannte im Pyjama, auf bloßen Füßen, zur Tür. Die Tür führte in das Arbeitszimmer des Hasen.
    »Bär!« schrie dieser entsetzt. »Bär! Was willst du mit dem Revolver? Was hast du vor? Bleib stehen! Ich dulde es nicht, daß du … Ich verbitte mir, daß du mit dem Revolver … Sofort gibst du den Revolver zurück!« Doch Jakob gab nichts zurück. Er war schon ins Nebenzimmer gerannt. Die Tür hinter ihm fiel zu.
    Der Hase purzelte aus dem Bett.
    »…cold fear walked in to wreck …«, konnte Lena Hornes Stimme gerade noch herausbringen. Dann bekam der Plattenspieler, der auf der Erde stand, versehentlich einen Fußtritt, die Nadel glitt kreischend über die ganze Platte, und der Apparat schaltete sich aus.
    Der Hase raste in einem langen Nachthemd auf die Tür zu. Noch ehe er sie erreichte, drehte sich zweimal ein Schlüssel im Schloß. Der Hase krachte gegen das Holz, rüttelte an der Klinke und schrie: »Jakob! Bär! Um alles in der Welt, mach auf! Komm zurück! Was immer dir zugestoßen ist, wir sind doch wieder zusammen, und das ist die Haupt …«
    Nebenan krachte ein Schuß.
    Der Hase kippte um und saß auf dem Boden.
    »Heiland im Himmel«, flüsterte der Hase. »Er hat sich was angetan … Er hat sich erschossen … Er hat plötzlich an alles denken müssen, was sie ihm weggenommen haben und daß er wieder ganz arm ist … Bär!« schrie der Hase so laut es ging und schlug mit den kleinen Fäusten gegen die Tür. Keine Antwort. Nicht ein Laut. Totenstille. Der Hase brach in Tränen aus. »Er hat sich was angetan … Er lebt nicht mehr …«, flüsterte Julia. Ein Weinkrampf schüttelte sie. »Er ist tot! Mein Bär ist tot! Ich will auch tot sein! Ich will auch nicht mehr leben! Nein, sterben will ich, wenn er gestorben ist!«
    Da krachte ein zweiter Schuß.
    Der Hase erstarrte.
    Wieso ein zweiter Schuß? Hat der Bär beim ersten danebengeschossen?
    Dann hat er noch einmal geschossen und jetzt richtig getroffen!
    »Bär!« schrie der Hase.
    Da krachte nebenan ein dritter Schuß.
    Julia, die sich schon halb erhoben hatte, sackte wieder zusammen.
    Wieso ein dritter Schuß? Ein Mensch kann doch nicht zweimal danebenschießen, wenn er sich umbringen will! Na, aber dreimal nacheinander umbringen kann er sich doch auch nicht!
    Panik verlieh dem Hasen Riesenkräfte. Einen Stuhl als Rammbock vor sich, so stürmte er auf die Tür zu und versuchte, sie aufzubrechen. Beim ersten Mal zitterte schon das Holz. Bei der zweiten Attacke flog der Hase mitsamt Tür und Sessel wie eine Kanonenkugel ins Nebenzimmer. Die Tür war aus dem Rahmen gebrochen. Der Hase tat sich weh, fluchte (was er noch nie im Leben getan hatte), hielt sich den Schädel und hob dann langsam, langsam den Kopf, um den armen Bären zu sehen.
    Der arme Bär stand drei Schritte vor einem Tischchen, fluchte gleichfalls (aber viele Male gräßlicher), hielt die Neun-Millimeter-Kanone in beiden Händen und zielte auf eine alte eiserne Kassette, die er in die Mitte dieses Tischchens gestellt hatte.
    Jetzt bin ich hinüber, dachte der arme Hase.
    Achgottachgottachgott, ist das alles entsetzlich.
    »Bär!« brüllte der Hase mit solcher Lautstärke, wie man sie bei einem derart zarten Geschöpf niemals vermutet hätte. Auch Jakob nicht. Der drehte sich gleich einem Schlafwandler um und fragte leiernd: »Was-machst-denn-du-da-Hase?«
    »Und du? Was machst du?« Der Hase rappelte sich hoch. Das Nachthemd zerriß. »Warum schießt du auf die Kassette? Bist du wahnsinnig geworden?«
    »Weil du mir gestern abend gesagt hast, daß du die beiden Schlüssel von den beiden Schlössern verloren hast, und weil in der Kassette das Grundsatzprotokoll über das Theresienkroner Eierkollektiv liegt! Ich habe es selber hineingelegt, damals, Anfang November 1946, das weißt du noch genau, hast du gestern abend gesagt! Der feine alte Geistliche Herr hat es geschrieben, weil er die schönste Schrift von uns allen gehabt hat. Der ruht nun auch schon lange in Gottes Schoß. Wie hast du bloß die Schlüssel verlieren können, Hase?«
    »Also weißt du, Bär, du … du … du …«
    »Ja?«
    »Du verdienst ein paar hinter die Ohren, du Esel! Deinen armen Hasen so zu erschrecken!«
    »Wieso erschrecken?« fragte verwundert der Bär, der ein Esel geworden war.
    »Also das ist die Höhe!« Der Hase rang nach Luft, was in Anbetracht des zerrissenen Nachthemds einen berückend tiefen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher