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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Verspätung?«
    Ich erinnerte mich an Großmutters Worte, als ich das erste Mal in die Tür des Pflegeheims trat: In dieser Familie ist es offenbar üblich abzuhauen. Damit hatte sie recht. Viele laufen davon, wenige kehren zurück, nur, wo findet sich ein passendes Ende? In den Worten des Pastors? In der Hand meiner Schwester, die völlig unbemerkt in meine Jackentasche gleitet, oder in meiner eigenen Heimkehr? Gut sieben Jahre habe ich in Amsterdam verbracht; sieben Jahre, in denen Großmutter auf den Jungen wartete, der Angst vor Hundsköpfen hatte – es ist die Zeit, die ein Körper braucht, um sich zu regenerieren, doch der Junge konnte seinen Hundsköpfen nicht entkommen und hatte keine Lust, zu seinem Erbe an kubistischen Motiven nach Hause zurückzukehren. Als ich in dem alten Haus am Tunøvej herumschnüffelte, sah ich nun nichts anderes als die nebligen Winterlandschaften des Alters, bis mein Blick auf die verkohlten Reste des gewaltigen Feuers fiel, das noch immer die Hecke verunzierte.
    Und da verstand ich, was Großvater getan hatte. Er hatte den Weg freigemacht. Es stand mir frei, mich mit den verbrannten Gemälden auseinanderzusetzen und auf diese Weise meine eigene Version der Geschichte zu erzählen. Und im Gästezimmer des Hauses von Stinne und dem Spundpfropfen holte ich vor nun fast einem halben Jahr die Utensilien heraus: Terpentin und Leinöl, Palette und Pinsel. Die Dinge, die ich nicht aus Amsterdam mitgebracht hatte, fand ich im Schuppen am Tunøvej. Neues und Altes – so fing ich an. Ich malte Eine undichte Meerjungfrau , ich malte Ein Hundskopf im Raum unter der Treppe , Askilds Flucht über eine Ebene in Ostdeutschland , Die Amanda im Morgennebel , Ein Ungeheuer in der Küche , Ein Troll springt aus seiner Schachtel . Ich malte Aufstiege und Abstürze, durch ein Guckloch betrachtet . Den Fall der Bergsteiger. Das Ende eines Bauernfängers . Ich malte hastig, sparte nicht an Farben, ließ mich häufig von freier Phantasie irreführen, und zwischen Ohne Titel und Unterlassene Bilder schieben sich jetzt eher prosaische Titel wie Selbstkritik . Überprüfung … Wieso bekommt meine Mutter so wenig Platz in der Geschichte? Ist zuviel Rot in den Bildern meiner Schwester? Wie erging es Knut, dem Seefahrer, auf den wir bei der Beerdigung bis zuletzt gewartet haben?
    Zahllose Fragen. Ich bin nicht stolz auf die Unordnung, die ich im Gästezimmer meiner Schwester hinterlassen habe. Unter meinen Titeln gibt es Lose Enden und Falsche Spuren . Es gibt auch eine besondere Farbmischung für diverse Kränkungen. Ururgroßvater Rasmus mußte ertragen, ein Raffzahn zu werden. Askild wurde zwischendurch ein Opfer von Comichefttechniken und Zeitungskarikaturen. Und dann gab es Farbmischungen für das Unverständliche, mit denen malte ich Baumgeister und Ungeheuer , die ihr eigenes Leben erhielten. Diese Farbmischungen waren meine Haltepunkte. Zu ihnen mußte ich mich flüchten, wenn ich den Wegweiser in den Geschichten der Familie nicht mehr finden konnte – es waren auch die Farben, mit denen ich Mount Blakhsa gemalt habe. Soll ich mit der Revision aufhören und erklären: Auch ich wußte nicht, was eigentlich passiert ist ? Soll ich statt dessen an der Reihe von leeren Leinwänden stehenbleiben, die noch immer im Gästezimmer stehen? Ein rasches Bild meiner beiden Neffen, die mit den alten Nasen des Spundpfropfens Zirkus Eriksson spielen. Er wechselt sie einmal im Jahr, wenn das Nikotin seiner Zigaretten sie allzu gelblich verfärbt hat, und legt sie in eine Schachtel in der Waschküche, wo die Kinder sie holen, wenn sie sich verkleiden möchten. Oder soll ich meiner Geschichte treu bleiben – nehmt es oder laßt es, es war meine einzige Wahrheit  – und damit schließen, daß ich die letzte kleine Leinwand aufziehe?
    Ja, sagte Stinne. Ich soll zusehen, daß ich fertig werde. Es war nett, mich hier gehabt zu haben, aber ich könne nicht für immer in einem Gästezimmer wohnen.
    Ich habe es hinter dem Schuppen vergraben , waren Großmutters letzte Worte, und nach der Beerdigung fuhren wir hinaus zum Haus am Tunøvej, holten eine Schaufel und fingen an zu graben. Nach einer halben Stunde begann es zu regnen, und Stinne war bis zuletzt skeptisch: »Das ist hier nicht. Wieso sollte es nach all den Jahren noch hier liegen? Es hat ihnen doch immer an Geld gefehlt.«
    Der Regen kräuselte ihr Haar, er verwischte ihr Make-up und machte uns schließlich so albern, daß wir anfingen, uns mit Dreck zu
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