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Hoppe

Hoppe

Titel: Hoppe
Autoren: Felicitas Hoppe
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Reißverschluss auf und lässt uns einen Blick ins Innere werfen?«
    Hoppe selbst, eine ausgewiesene Meisterin praktischen Packens, wusste genau, was sich in ihrem Buckel befand, und machte auch nie ein Geheimnis daraus: »Taktstock, Schläger, Lippenstift.« Und, so ist man versucht zu ergänzen, vier deutsche Geschwister, die das Einzelkind auf seinen Schiffsreisen erfand und denen sie mit einer bis heute unveröffentlichten Erzählung
(Fünf zur See)
ein eigensinniges Denkmal gesetzt hat: »Wir liebten uns, weil wir uns nicht ausweichen konnten, weil wir darauf angewiesen waren, einander ständig zu unterhalten. Das Wetter war schlecht, die Mannschaften rau, das Essen miserabel, die Kapitäne Analphabeten. Abends saßen wir in unserer Kabine, ich seekrank, sie aufrecht und unanfechtbar. Gegen das Wetter hielten wir uns an Erinnerungen fest, wobei sie mehr Halt bewiesen als ich. Im Gegensatz zu mir waren sie seetauglich und unanfechtbar.«
    Während der Vater Listen und Abrechnungen schreibt, widmet sich Felicitas ganz der Erfindung ihrer vier Geschwister, um sich die Zeit an Bord zu vertreiben und um ein für alle Mal in der Mitte zu sein, denn »die Ersten werden die Letzten sein und die Letzten die Ersten«. Warm ist es folglich nur in der Mitte, »erzogen, beschützt und verteidigt von oben, geliebt und verstanden von unten«. Es sind
Fünf zur See
, die das Werk des Einzelkindes von Anfang an unterirdisch bevölkern. Je länger Hoppe schreibt, umso mehr gewinnen die Geschwister Gestalt, gleich in welchem Kostüm Hoppe sie auftreten lässt. Der faktische Vater des faktischen Einzelkindes dagegen verliert sich im Vagen: »Er mietete Häuser an, die er niemals bewohnte. Ich saß mutterseelenallein auf hohen Veranden in Schaukelstühlen, verhandelte mit Putzfrauen, Gärtnern und vorübergehenden Hauslehrern. Meinen Erfindervater habe ich nie gesehen.«
    Das dürfte, in Abgleichung mit dem Tagebuch ihres Vaters, kaum der Wahrheit entsprechen. Die Mittel des reisenden Patentagenten waren begrenzt und ließen eine Haushaltsführung oben beschriebener Art nicht zu. Hoppes Unterschlagung überprüfbarer Fakten dient einzig der literarischen Ausformung ausufernder Phantasien, wie sie ihr gesamtes Werk prägen. Während der wirkliche Vater schrumpft, wächst der Erbauer des ersten Kaspertheaters und neben ihm die Gastgeberkönigin, die Sahne über Fruchtschalen und Quarkspeisen schlägt: »Was immer sie auftischte, alles machte sie schmackhaft.«
    Über Hoppes leibliche Mutter wissen wir wenig, aber genug, um mit Sicherheit sagen zu können, dass sie, eine erzkatholische und hochtalentierte Klavierlehrerin aus Breslau, weder Sahne schlug noch jemals auf Tournee durch Niedersachsen gegangen sein dürfte, sondern sich nach der Trennung von Hoppes Vater in umgekehrter Richtung auf den Weg durch die Welt machte und bald aufhörte, Briefe zu schreiben. Die niedersächsische Welt der Felicitas Hoppe, ihre Kindheit in der katholischen Diaspora als drittes von fünf Kindern kleinbürgerlicher, aus Schlesien vertriebener Eltern, die sie immer wieder beharrlich gegen jene andere, unberechenbare Welt ihrer wirklichen Kindheit aufruft, entpuppt sich als Kulisse unaufhörlich neuorganisierter Fluchten nach innen: »Sobald es dunkel wurde, versammelten wir uns vor dem Vorhang des ersten und einzigen Kaspertheaters in der Erwartung, dass er sich auftun würde, um uns endlich das Krokodil zu zeigen. Und um die warme Stimme unseres Vaters zu hören, die uns jeden Sonntag von vorne fragt, ob wir alle noch da sind, und die uns jeden Sonntag aufs Neue verrät, dass es das Krokodil gar nicht gibt.«
     
    Hoppes kanadische Kinderjahre dagegen sind verbrieft, das Haus in Brantford (Ontario) »mein erster Iglu«, der Eispalast des einzigen Kindes eines »Erfindervaters«, der morgens gegen sieben das Haus verlässt und selten vor sieben zurückkommt, während Felicitas vormittags in die Schule und nachmittags, ohne Wissen des Vaters, aufs Eis geht: »Es war Wayne (gemeint ist vermutlich der kanadische Eishockeyspieler Wayne Gretzky/fh), der mich überredete mitzukommen. Er war klein, dünn wie Docht (nur eine von zahlreichen Anspielungen Hoppes auf ihr Lieblingsbuch, Carlo Collodis
Pinocchio
/fh), konnte ukrainische Lieder und war ein Genie, auf dem Eis auf Siege von hinten fixiert, hinter dem Tor unberechenbar.«
    Vor allem hatte er echte Geschwister und eine Mutter, die kochen konnte. Hoppe ist knapp sechs und verliebt. Ihre Ausrüstung
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