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Hoppe

Hoppe

Titel: Hoppe
Autoren: Felicitas Hoppe
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jetzt alles. Doch ich bin ganz ohne Gier, ohne Hast, eher gleicht mein Tun dem Gebet, einer Geste der Sanftmut, der Geduld, der reinen Erwartungslosigkeit. Denn in Wahrheit habe ich alle Hoffnung aufgegeben. Trotzdem hob ich den Koffer, als wäre dies ein Geschenk, meine Hochzeitsnacht, mit beiden Armen vor mich aufs Bett. Denn muss man schon heiraten, dann wohl nur so: Langes Betrachten des Gegenstandes, ratlos sowohl als auch voller Sehnsucht. Ich streichelte ihn sogar, meinen Koffer, betrachte das helle Verführungsleder, dann ließ ich die zierlichen Schlösser aufschnappen, das linke, das rechte, und wider Erwarten öffnet sich jetzt mein Koffer sofort. Kein Widerstand, kein Geplänkel, kein Zickzack, ganz ohne Vorspiel klappte der Deckel hoch, und ich stellte fest, dass ich einen phantastischen Tausch gemacht hatte. Vor mir im Koffer lag ein handliches Nagelbrett, nagelneu und zusammenklappbar. (…) Der Mechanismus beglückte mich, er funktionierte vorzüglich. Herrlich klappt sich das Brett vor mir aus und ruft mir zu: Leg dich hin, leg dich auf mich, und zeige mir, was du kannst, aber zeig es mir gleich, noch in dieser Nacht.«
    Hoppes Werk, bis heute von der Kritik so hartnäckig wie wohlwollend in den Bereich »traumlogischer Reiseliteratur« verwiesen, speist sich nicht aus Träumen, sondern aus der Realität uneingelöster Versprechen und verlorener Wetten. Es pendelt zwischen geträumter Verheißung und erlebter Enttäuschung und ist nicht mehr und nicht weniger als ein getreues Abbild dessen, was wir auf jedem Hochzeitsbild sehen: Ahnungslos auf eine ungewisse Zukunft eingeschworene Paare.
    Es gibt, tatsächlich, ein Urbild dazu, das Hoppes Erfindervater und ihre Mutter bei der Hochzeitsfeier in Breslau zeigt: Die Braut hält mit der ausgestreckten Rechten aufdringlich strahlend ein Glas in die Kamera, während links neben ihr, mehr Statist als Bräutigam, ein Ehemann (Felicitas’ Vater) steht. Das Paar wird flankiert von zwei wie nachträglich ins Bild montierten todernsten Trauzeugen in zu engen schwarzen Anzügen und mit streng nach hinten pomadisierten Haaren. Im Hintergrund, auf einem großen, mit einem weißen Tuch eingedeckten Tisch, steht zwischen billigen Sträußen eine als Konzertflügel stilisierte Hochzeitstorte (unter einem Deckel aus Schokolade abwechselnd Buttercreme- und Kakaotasten), hinter dem Tisch eine Dreimannkapelle, deren Geiger seinen Bogen wie einen Dirigentenstab in die Höhe hält. Ein wie zufällig ins Bild gebrachtes Zögern, ein versuchter Tusch, der, jedenfalls was Felicitas’ Vater betrifft, vermutlich auch jenseits des Bildes nie Wirklichkeit wurde.
    Vor diesem Hintergrund versteht sich von selbst, wie sehr sich Hoppe bei den Gretzkys zu Hause fühlte. Walter und Phyllis bildeten eine eingeschworene Gemeinschaft. Der Zusammenhalt der Ersatzfamilie stand bei allen Konflikten zwischen den Eheleuten außer Frage. Walters frühe Krankheit, Folge eines Unfalls bei
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, der zu vorübergehender Taubheit führte, war Prüfstein und Herausforderung zugleich. Phyllis stand »rauchend wie ein Schlot« in der Küche und nahm die Aufgabe an. Walter war der Trainer, sie die Kämpferin. Sie war es, nicht Walter, die den »kanadischen Zirkus« so unbeugsam wie diskret zusammenhielt und an einem eiskalten Februartag loszog, um einen neuen Rasensprenger zu kaufen, weil der alte seinen Dienst versagt hatte und Walter den »Eisring familiären Ehrgeizes« nicht nachwässern konnte. Als sie nach Hause kommt, bemerkt sie lakonisch, ein zweites Mal werde sie sicher nicht gehen, weil der Verkäufer sie für verrückt erklärt habe: »Wer kauft im Februar in Brantford schon einen Rasensprenger.«
    Jahrzehnte später, Phyllis ist längst nicht mehr am Leben, kommentiert Hoppe ihre Erinnerung an die »beste Stiefmutter von allen« so: »Warum ich Phyllis liebte, ist schnell gesagt. Weil sie wusste, dass ein Familientisch rund sein muss, damit es weder Vorzug noch Nachteil gibt. Ein unmöglicher Anspruch, weil Wayne immer Wayne bleiben wird, der Erste und Größte von allen, Sieger auf Lebenszeit, unanfechtbar die Neunundneunzig ( 99 ), weshalb wir ihn niemals erreichen werden. Er ist einfach zu schnell, zu treffsicher, zu elegant und, weit schlimmer, entsetzlich bescheiden. Höhere Eitelkeit: Die schwerste Sünde von allen. Phyllis wusste das, aber sie ging lässig drüber weg.«
     
    Die wenigen Bilder, die aus den kanadischen Jahren geblieben sind, zeigen fünf bis zehn
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