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Honigmilch

Honigmilch

Titel: Honigmilch
Autoren: Jutta Mehler
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unserer Jubiläumsfeier habe ich die Ehre, den diesjährigen Schützenpokal unseren Kameraden aus Erlenweiler überreichen zu dürfen. Und es ist mir eine besondere Freude, bekannt geben zu können, dass der Pokal von einem der aufstrebendsten Glaskünstler aus unserem Landkreis entworfen worden ist: Severin Ruckerbauer.«
    »Severin Ruckerbauer«, wiederholte Fanni verwirrt.
    Der Name war heute schon einmal gefallen – oben, auf dem Falkenstein. Severin, erinnerte sich Fanni, hatte Annabel an diesem Morgen in seinem Wagen zur Schutzhütte gebracht.
    Fanni spitzte die Ohren, als sie ihr Tischgegenüber raunen hörte: »Die Freundin vom Severin soll tödlich verunglückt sein – heut Mittag. Ein Grünzeug-Gendarm hat es dem Vorstand erzählt.«
    »Ist sie eine Eisensteinerin?«, fragte sein Nachbar.
    Der Angesprochene schüttelte den Kopf. »Nein, die Annabel wohnt mit ihren Eltern in Zwiesel.«
    »Annabel und Severin gehen zusammen auf die Glasfachschule«, mischte sich eine Schützenfrau zwei Plätze weiter links ein.
    »Wie ist denn das Unglück passiert?«, fragte jemand von rechts.
    »Das Mädel könnte erschlagen worden sein, meint der Grünzeug-Gendarm.«
    Am Tisch breitete sich entsetztes Schweigen aus.
    »Wer?« Die Frage lag eine Zeit lang in der Luft, bevor sie gestellt wurde.
    Schulterzucken.
    »Ich will ja nichts ausgestreut haben«, sagte die Schützenfrau, »aber zwischen der Annabel und dem Severin soll es ziemlich gewittert haben in der letzten Zeit.«
    »Und deshalb soll er das Mädel erschlagen haben?«, riefen aufgebrachte Stimmen ringsum. »Einfach so? Mir nichts, dir nichts?«
    Fanni bekam einen Stoß in die Rippen.
    »Wir fahren nach Hause«, sagte Hans Rot. »Ich muss morgen früh raus. Ich kann mich nicht den halben Vormittag aufs Ohr legen so wie meine Frau.«
    Manchmal könnte man schon einfach so, mir nichts, dir nichts jemanden erschlagen, dachte Fanni.

2
     
    Sprudel meldete sich am Dienstagmorgen telefonisch, wie er es zwei Tage zuvor mit Fanni vereinbart hatte. Eine halbe Stunde später machte sie sich auf den Weg.
    »Wir wandern von Klingenbrunn-Bahnhof zum großen Rachel«, rief sie Leni zu, während sie ihre Wanderschuhe schnürte.
    Fannis älteste Tochter hatte vor einigen Wochen wieder ihr ehemaliges Kinderzimmer im elterlichen Haus in Erlenweiler bezogen. Wenn sie für ihre Promotion weder Testreihen noch Auswertungen im Labor durchführen musste, arbeitete sie lieber dort. »Weil es so schön ruhig ist auf dem Land«, pflegte sie die Wahl ihres Arbeitsplatzes zu begründen.
    Leni war der einzige Mensch, der von Fannis intensiver Freundschaft mit dem pensionierten Kriminalkommissar wusste. Sie kannte Sprudel, seit sie im vergangenen Jahr etliche Monate in einem Forschungslabor in Genua gearbeitet hatte. Fanni war damals für zwei Wochen bei ihr zu Besuch gewesen, und die drei hatten gemeinsam herrliche Wanderungen durch die Cinque Terre unternommen.
    Leni saß vor einer Schale Müsli und einer Tasse Kaffee am Küchentisch.
    »Wie ungerecht das Leben spielt«, antwortete sie. »Mama geht zum Tête-à-Tête, und Klein-Leni muss Hausaufgaben machen.«
    »Ich bring Klein-Leni auch eine hübsche neue Rassel mit und einen Marienkäfer aus Vollmilchschokolade.«
    »Wie wär’s mit einem großen Stück Prinzregententorte aus dem Café Blöchl in Zwiesel?«, fragte Leni.
    Fanni nickte lächelnd und eilte aus dem Haus. Als sie mit dem Wagen aus der Zufahrt bog, sah sie Leni am Küchenfenster stehen und ihr nachwinken.
     
    »Annabel Scheichenzuber wurde mit großem Kraftaufwand gegen den Felsbrocken in der Telefonschneise geschleudert«, sagte Sprudel. »Beim Aufprall hat sie sich eine tiefe Wunde am Hals zugezogen. Sie starb an einem Genickbruch.«
    »So könnte es sich abgespielt haben«, erwiderte Fanni und wich einem Tümpel aus, der den Wanderweg in zwei Pfade teilte.
    »Ich weiß aber gewiss, dass es so war«, betonte Sprudel. Fanni sah ihn erstaunt an, und er grinste zufrieden. »Der Autopsiebericht hat es mir verraten.«
    »Bist du ins gerichtsmedizinische Institut eingebrochen?«, fragte Fanni.
    »Das habe ich nicht nötig«, gab Sprudel zurück. »Rat und Beistand eines versierten Kriminalkommissars – pensioniert oder nicht – sind halt gefragt.«
    »Angeber, Aufschneider, Sprücheklopfer. Und was steht sonst noch drin?«
    »Wo?«, fragte Sprudel einfältig.
    Fanni sah ihn streng an.
    »Interessante Sachen stehen drin«, beeilte sich Sprudel zu sagen, »enorm
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