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Hoellenfeuer

Hoellenfeuer

Titel: Hoellenfeuer
Autoren: Peter Conrad
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bewirkt oft Wunder.“
    Eleanor ergriff die Tablette und steckte sie wortlos ein. Sehr viel mehr würde heute nicht passieren, dessen waren sich beide bewusst. Dr. Marcus machte eine resignierende Geste mit der Hand und lächelte Eleanor gequält an. Dann griff er nach dem Telefonhörer und rief nach Schwester Emily, um Eleanor zurück in ihr Zimmer bringen zu lassen.
    Als Schwester Emily den Raum kurz darauf betrat, erhob Eleanor sich wortlos und wandte sich zur Tür. Dr. Marcus murmelte einen Abschiedsgruß, doch er war sich der Tatsache wohl bewusst, dass er keine Antwort, nicht einmal einen Blick erwarten konnte.
    Eleanor Storm, das suizidgefährdete junge Mädchen, das vor einer Woche in die geschlossene psychiatrische Abteilung des Stratton Hall Sanatory eingewiesen worden war, blieb ein schwieriger Fall – zumindest jetzt noch.
    Ihr Selbstmordversuch war noch zu frisch, als das s eine Aufarbeitung möglich war. Bis jetzt verweigerte das Mädchen jede Zusammenarbeit, aber das war nicht ungewöhnlich. Zunächst kam es darauf an, sie etwas zur Ruhe kommen zu lassen. Über kurz oder lang würde sie wieder einen Kontakt zu ihrer Umwelt aufbauen können. Bis dahin durfte man Menschen wie sie nicht unter Druck setzen, sonst würde sich der Prozess, den es hier zu bewältigen gab, nur unnötig in die Länge ziehen. Da war es zweifellos das Beste, die Gesprächssitzungen mit ihr nicht allzu sehr auszudehnen. Dr. Marcus atmete tief durch. Er war unzufrieden mit sich selbst. Dem Mädchen das Medikament direkt zu geben, war ein Risiko gewesen. Sie könnte auf die Idee verfallen, ihre Medikamente zu horten, um sich irgendwann mit ihnen zu vergiften. Er würde in den kommenden Tagen eine heimliche Durchsuchung ihres Zimmers anordnen, dann würde er sehen, ob Eleanor noch immer auf einen Selbstmord hinarbeitete, oder ob sie bereit war, sich helfen zu lassen. Sie auf ihre Familie anzusprechen war auch nicht besser gewesen, denn ein schlechtes Gewissen konnte in ihrer Situation kaum hilfreich sein. Dr. Marcus runzelte die Stirn. Was war heute nur mit ihm gewesen? So kannte er sich gar nicht. Es war fast, als wäre er heute nicht er selbst gewesen, als sei ein anderer in seine Haut geschlüpft. Noch einmal atmete er tief durch. Dann griff er nach seinem Jackett, seinen Autoschlüsseln und machte sich auf den Weg zu den Tiefgaragen.
    Einige Minuten später betrat Eleanor ihre kleine Zelle wieder. Schwester Emily schloss sorgsam die Tür hinter ihr ab, während Eleanor sich traurig umblickte. Nichts schien sich verändert zu haben. Noch immer lief der Regen an der Scheibe ihres Fensters herab und zugleich rauschte das Wasser durch das Regenrohr, welches sich links neben dem Fenster an der Außenseite der Mauer befand. Und noch immer verbreitete die Neonröhre an der Decke ihr kaltes und unfreundliches Licht. Mit einem Mal war Eleanor kalt und sie schlang fröstelnd die Arme um sich. Sie durchschritt den Raum und setzte sich auf die Bettkante.
    Ich wünschte ich wäre nicht hier, dachte Eleanor. Ich wünschte ich könnte schlafen, für immer.
    Eine Weile starrte sie mit leerem Blick an die Wand. Dann sank ihr Blick nach unten auf die Tablette in ihrer offenen Hand.
     
    In dieser Nacht träumte Eleanor. Zum ersten Mal seit dem missglückten Versuch, ihrem Leben ein Ende zu setzen, schlief sie tief und fest. Und zum ersten Mal seit diesem unheilvollen Tag war ihre Seele frei genug von etwas anderem zu träumen, als von der Ursache ihrer Verzweiflung.
    Eleanors Geist schien durch leere Räume zu laufen. Die Wände dieser Räume waren weiß und schmucklos. In diesen Räumen gab es absolut nichts, was den Geist hätte ablenken können. Nichts, was beunruhigend hätte wirken können. Jemand anders hätte diese leeren Räume als trostlos empfinden können, doch für Eleanor waren sie ein Sinnbild der Ruhe und des Friedens.
    Raum für Raum durchlief sie, bis sie schließlich an die letzte Tür kam, welche von einem mächtigen Türknauf in Form eines schmiedeeisernen Löwen beherrscht wurde. Eleanors Hand näherte sich dem Griff, den der eiserne Löwe im Maul hielt, doch ihre Finger verharrten unmittelbar vor ihm. Hatte das Tier nicht gerade die Lefzen bewegt? Eleanor war sich ganz sicher, dass der Löwe seine Reißzähne ein wenig mehr zeigte, als er es noch vor einem Augenblick getan hatte. So legte sie stattdessen ihre Faust gegen das dunkle Holz neben dem Löwenkopf und drückte dort gegen die Tür. Und tatsächlich schwang die Tür
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