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Höllen-Mädchen

Titel: Höllen-Mädchen
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recht ihre Neugier. »Du kannst also mit Wasser arbeiten und es beherrschen. Aber das bedeutet doch nicht, daß du kein Mensch bist.«
    »Ich kann mit Wasser arbeiten, weil ich aus Wasser bin«, entgegnete er. »Schau!« Plötzlich löste er sich auf. Erst flossen seine Füße weg, dann die Beine und schließlich der übrige Körper bis zum Kopf. »Ich sehe aus wie ein Junge, aber es ist alles aus Wasser. Ich wäre lieber ein echter Junge mit der Gabe, Wasser zu beherrschen. Aber das werde ich erst dann, wenn mich eine Familie adoptiert. So sagt es der Gute Magier.«
    Lacuna nickte. »Dann wirst du dich nach deiner Dienstzeit also auf die Suche nach einer guten Familie begeben, die sich einen Jungen deines Alters wünscht?«
    »Auf jeden Fall! Glaubst du, daß ich eine finden werde?«
    Er wirkte so zuversichtlich, daß sie es nicht übers Herz brachte, seine Hoffnungen zu zerstören. Dennoch war es fragwürdig. Die meisten Familien zogen es vor, ihre eigenen zehnjährigen Jungen großzuziehen. »Hat der Gute Magier gesagt, daß deine Suche Erfolg haben wird?«
    »Er hat mir erklärt, daß das Buch der Antworten meinen Erfolg vorausgesagt hat, falls ich meine Arbeit gut mache und höflich zu den Älteren bin. Und daran halte ich mich.«
    Und wie er das tat! Er hielt sie wirkungsvoll davon ab, den Schloßgraben zu überqueren, war dabei aber zuvorkommend, beantwortete ihre Fragen und warnte sie eher, als daß er sie mit Wasser bewarf. Er war offenbar ein recht netter Junge.
    »Ich wünsche dir, daß das Buch recht hat. Aber trotzdem muß es mir gelingen, hinüber zu kommen, auch wenn du das verhindern willst.«
    »Ja. Ich wünsche dir ebenfalls Glück, aber ich muß dich aufhalten, so gut ich kann. Wenn du zu schwimmen versuchst und in meinen Wellen ertrinkst, werde ich dich retten. Ich will wirklich niemandem weh tun.«
    »Das weiß ich zu schätzen.« In ihrer Feststellung lag keinerlei Spott. Es war eindeutig eine Prüfung und kein Kampf auf Leben und Tod. Ryver tat lediglich seine Pflicht.
    Sie überlegte eine Weile, grübelte ein wenig und dachte einen Augenblick nach, während Ryvers Kopf auch noch zu Wasser zerfloß. Danach erschuf er seinen Körper einschließlich der Kleidung neu. Er sah vollkommen echt aus, und sie war sich sicher, daß er auch echt war – nur daß er nicht aus Fleisch und Blut bestand. Falls er durch die Adoption einer Menschenfamilie verwandelt werden sollte, wäre das wunderbar. Ihr fiel ein, daß normale Menschen ohnehin zum größten Teil aus Wasser bestanden. Für Ryver galt das nur in wesentlich höherem Maße.
    Eine leise Ahnung stieg in ihr auf. »Ryver, kannst du lesen?«
    »Ja, sicher. Die Magierin Ivy hat mir das Lesen beigebracht, von den ersten Schritten bis zum perfekten Können. Weißt du, das ist ihr Talent. Aber leider sind die meisten Bücher des Schlosses irgendwie trocken – entschuldige das Schimpfwort – und machen nicht besonders viel Spaß, sofern man nichts für Geheimwissenschaften übrig hat.«
    Das hatte sich Lacuna schon gedacht. »Zufällig ist meine Gabe das Verändern von Schrift. Außerdem kann ich Buchstaben dort entstehen lassen, wo überhaupt nichts stand, und bestimmen, was sie aussagen. Ich würde dir gern etwas Spannendes zu lesen zeigen.«
    »O nein!« rief er aus. »Ich mache mit dir keinen Handel, um dich durchzulassen! Das wäre falsch.«
    »Mein lieber Junge«, beruhigte sie ihn, »ich versuche wirklich nicht, dich zu bestechen. Ich versuche dich auszutricksen, und das ist nur recht und billig. Ich werde etwas für dich schreiben, und wenn es dir nicht gefällt, dann liest du es eben nicht.«
    »Das wird nicht gehen«, entgegnete er.
    Sie blickte auf die nun glatte Oberfläche des Schloßgrabens. Plötzlich formten sich Worte darauf, die von rechts nach links glitten und so ein bewegtes Wortband schufen, Sie verschwanden, sobald sie den linken Rand erreichten, damit nicht der ganze Schloßgraben von Schrift bedeckt wurde.
    Es war einmal ein Wasserjunge mit Namen Ryver, der ein Junge aus Fleisch und Blut sein wollte, verkündete die vorbeilaufende Schrift.
    »He, das ist ja über mich!« rief Ryver aus.
    »Na ja, in Wirklichkeit ist es eine Schablonengeschichte. Ich habe nur deinen Namen eingefügt, um sie unterhaltsamer zu machen.«
    »Das ist schon in Ordnung.« Er las ohne Unterbrechung weiter, um keines der bewegten Worte zu verpassen. Wie sie richtig vermutet hatte, war er durch die Nennung seines Namens an die Geschichte gefesselt. Das ging
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