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Hölle ohne Hintertür

Hölle ohne Hintertür

Titel: Hölle ohne Hintertür
Autoren: Stefan Wolf
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zur
Toilette.

    Er hielt vor dem Grundstück.
Der Motor brummelte leise. Gunnar hatte vieles durchdacht während der langen
Fahrt. Jetzt entschied er, dass es besser sei, wenn niemand ihn sah. Die Straße
war so leer wie die Via Quentino im Uro-Tal. Bei den fernen Häusern rührte sich
nichts. Und die Alte von gegenüber zählte nicht. Die schlief immer bis Mittag
und checkte nichts mehr.
    Gunnar stieg aus. Er trug
Sonnenbrille und einen hellen Sommerhut. Er öffnete die Einfahrt und das
knarrende Garagentor. Im Haus blieb alles still. Alina war ein Blinden-, kein
Wachhund. Er fuhr in die Garage, schloss beide Tore und überzeugte sich, dass
es auch jetzt keine Zeugen gab.
    Mit seiner Reisetasche, die er
voll gestopft hatte, trat er zur Eingangstür. Daneben waren ein kleines Fenster
mit Läden und eine kugelförmige Lampe, die vermutlich nie eingeschaltet wurde.
Für Alexander hatte sie keinen Nutzen und Besuch erhielt er selten.
    Gunnar klingelte. Er hörte das
Schrillen hinter der Tür. Nach einem kurzen Moment tappten in der Eingangsdiele
vier Hundepfoten heran. Gunnar hörte Alinas Schnüffeln.
    »Brave Alina«, sagte er leise.
»Weck das Herrchen.«
    Er klingelte abermals. Im Haus
rührte sich nichts. Nur Alina blieb hinter der Tür und winselte leise. Sie
kannte ihn. Er hatte sie gefüttert und ihr den Bauch gekrault bei den wenigen
Besuchen in den letzten vier Jahren. So lange besaß Alexander den Hund.
    Drittes Klingeln, viertes
Klingeln, dann anhaltend mit dem Daumen auf dem Kunststoffknopf. War sein
Bruder narkotisiert? Hatte er sich mit Schlaftabletten voll gehauen?
    Gunnar umrundete das Haus.
Hinter nur wenigen Fenstern waren die Vorhänge geschlossen. Alexander vergaß
das bisweilen. Er hatte nichts zu verbergen und eventuelle nächtliche
Helligkeit, die von Mondlicht oder Laternen herrührt, störte ihn, den Blinden,
nicht.
    Das Schlafzimmer lag
rückseitig. Ein Fenster. Keine Jalousie. Der Vorhang offen, die Gardine
blickdurchlässig.
    Gunnar berührte mit der Stirn
die Fensterscheibe. Halbdunkel füllte das Zimmer. Hierher kam kein Sonnenlicht,
denn der Raum war auf der Nordseite.
    Gunnar sah seinen
Zwillingsbruder. Er lag nicht im Bett, sondern davor. Er lag bäuchlings, einen
Arm unter sich, den anderen ausgestreckt, die Beine gespreizt in einem
komischen Winkel. Alexander lag so wie jemand, der nie wieder aufstehen wird.
    Gunnar rannte zum
Toilettenfenster, das — wie er gesehen hatte — nicht geschlossen, sondern nur
angelehnt war. Er zwängte sich hinein.
    In der Diele begrüßte ihn
Alina, die schwarze Labradorhündin, schweifwedelnd, freundlich. Wie alle
Blindenhunde war sie umgänglich und frei von Aggressionen.
    Er tätschelte ihr den Kopf.
»Brave Alina.«
    Dann war er im Schlafraum, nahm
den dumpfen Geruch war und drehte seinen Bruder vorsichtig auf den Rücken.
    Alexander war tot. Gestorben
auf natürliche Weise, zweifellos, offenbar sanft und ohne Schmerz. In seiner
Miene lag der Anflug eines entspannten Lächelns.
    Herzversagen!, dachte Gunnar.
Herzversagen. Er hatte immer ein schwaches Herz. Und jetzt die verschleppten
Viren...
    Er ließ sich in einen Sessel
fallen, spürte Trauer und Erschütterung. Alina leckte ihrem toten Herrchen die
Hände. Draußen auf der Straße fuhr ein kleines Auto vorbei. Die Zeitungsfrau
verteilte den Tageskurier und die beiden anderen führenden Blätter der
Millionenstadt. Alexander gehörte nicht zu ihren Kunden.

9. Hugo
bringt das Geld
     
    Die vierte Unterrichtsstunde
war Mathe, immer und ewig Tims Lieblingsfach, unter anderem, weil er da alles
beherrscht, ohne auch nur eine Minute lernen zu müssen. Notenmäßig war er auf
Eins abonniert. Jetzt langweilte ihn der Unterricht. Seine Kenntnisse reichten
längst bis zum Abiturstoff. Trotzdem unterdrückte der TKKG-Häuptling ein
Gähnen, saß zurückgelehnt und äugte an Gabys Pferdeschwanz vorbei zum Fenster
hinaus.
    Der Klassenraum der 9b liegt
so, dass Tim über den inneren Pausenhof zum Parkplatz für Besucher sehen
konnte. Dort standen die Wagen der Pauker und etliche heiße Öfen von
Führerschein-Neulingen. Die volljährigen Schüler der Abiturklassen waren nahezu
alle motorisiert — jedenfalls jene, die in der Stadt wohnten, also Externe
waren.
    Gaby lehnte sich zurück und sah
ihn an. »Hast du das verstanden?«, fragte sie hauchleise und meinte die
umständlichen Erklärungen von Dr. Sabine Kunze-Liegenstatt.
    »Hab nicht zugehört. Weiß aber
trotzdem, wie’s geht. Unklarheiten, Pfote?
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