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Hölle ohne Hintertür

Hölle ohne Hintertür

Titel: Hölle ohne Hintertür
Autoren: Stefan Wolf
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Und dann noch leiser. »Wenn du mich lieb hast, fragst
du nicht weiter. Und hältst dich raus aus der Sache.«
    Ihre Schultern zitterten. Tim
schloss den Mund und ließ unausgesprochen, was ihm auf der Zunge lag.
Stattdessen streckte er die Hand aus und streichelte ihren Arm.

6. Ungleiche
Brüder
     
    Die Schatten im Uro-Tal wurden
länger, aber es war immer noch Nachmittag und sehr heiß. Gunnar Korlitzer
spähte die Via Quentino entlang. Der Blick reichte etwa einen Kilometer in jede
Richtung, ehe die Straße im buckligen Gelände verschwand. Kein Lebewesen, so
weit das Auge reichte, abgesehen von nicht näher bestimmbaren Vögeln in der
Ferne. Also war mit keiner Störung zu rechnen.
    Er setzte sich auf einen
sitzhockergroßen Stein, den die Sonne aufgeheizt hatte, nahm sein Handy heraus
und wählte. Gespeichert war die Nummer nicht, obwohl es der Anschluss seines
Bruders war. Aber die beiden redeten nicht oft miteinander und vor Dritten
schon gar nicht. Aus unterschiedlichen Gründen schwiegen sie sich gegenseitig
tot. Gunnar erwähnte Alexander nie, weil er ihn als seine letzte Reserve
betrachtete, als die Geldquelle für den allerschlimmsten Fall — einen Fall wie
jetzt. Doch der Zugriff auf die Quelle würde vermutlich nicht mit rechten
Dingen zugehen; also war es besser, sie — und damit Alexander — nirgendwo zu
erwähnen.
    Alexander wiederum verschwieg
Gunnar wie einen Schandfleck, den man zwar nicht tilgen kann, aber gern
vergessen möchte. Er, Alexander, wusste Dinge, die ihn mit Entsetzen erfüllten.
Verbrechen. Ein schäbiges Verbrechen hatte ein zweites nach sich gezogen.
Gunnar in seiner großspurigen Arroganz hatte Alexander davon erzählt, absolut
davon überzeugt, dass der nie etwas verlautbaren würde. Und damit hatte er
Recht. Familienehre war für den Blinden kein leeres Wort. Wenigstens den Schein
wahren, hatte er mit Bitterkeit gedacht. Egal wie es dahinter aussieht. Ein
paar Mal klingelte das Rufzeichen, dann nahm Alexander Korlitzer im fernen
Deutschland, in der TKKG-Stadt, den Anruf entgegen.
    »Korlitzer.« Eine matte, raue
Stimme.
    »Alexander? Bist du’s?«
    »Gunnar?! Ja, wer sonst.«
    »Deine Stimme klingt nicht wie
du.«
    »Vielleicht weil ich mich krank
fühle.«
    »Erkältet? Jetzt im Juni?«
    »Wir hatten hier einen langen,
harten Winter, Gunnar. Ich hatte eine schwere Grippe. Kennst mich ja. Ich gehe
zu keinem Arzt. Irgendwann war ich wieder auf den Beinen. Hab aber was
verschleppt. Die Viren oder was auch immer sind mir aufs Herz geschlagen. Mir
geht’s saudreckig.«
    »Das tut mir Leid.«
    »Ich fühle mich wirklich
elend.«
    »Brauchst du Hilfe?«
    »Ich brauche nichts. Von
niemandem.«
    So ist er seit seiner
Erblindung, dachte Gunnar. Verbittert. Er verkraftet das nicht. Andere werden
fertig mit so einem Schicksalsschlag. Aber zu denen gehört er nicht.
    »Dann geht’s dir besser als
mir, Alex. Ich brauche nämlich Geld.«
    »Hätte ich mir denken können,
dass du deshalb anrufst. Wieder Spielschulden?«
    »Könnte man sagen.«
    »Dann viel Spaß damit. Dass ich
mich nicht anpumpen lasse, weißt du ja.«
    »Alex! Diesmal ist es ernst.
Die wollen mich umbringen. Zu spät habe ich gemerkt, wer die sind.«
    »Nämlich?«
    »Die Mafia. Die Zocker-Mafia,
die in ganz Europa alle Spielsüchtigen im Griff hat.«
    »Dein Pech, Gunnar.«
    »Alex! Du bist mein Bruder.
Mein Zwillingsbruder. Ich bin dein Ebenbild. Wenn du nicht blind wärst, würdest
du dich sehen, wenn du mich anguckst. Wir sind ein und derselbe Mensch. Die
Natur hat dich geklont und das bin ich, nur acht Minuten jünger als du. Nur
Mutter konnte uns auseinander halten, Vater hat uns immer verwechselt. Mir ist
mein Erbe durch die Hände gerutscht, aber du hast es noch. Mindestens eine
Million. Und du erhältst eine Rente von deinem ehemaligen Betrieb. Du kannst
mich nicht hängen lassen.«
    »Von mir kriegst du nichts. Ich
habe mir mein Geld eingeteilt. Ich entnehme nur so viel, dass es noch vierzig
Jahre reicht. Falls ich überhaupt so alt werde.«
    »Aber du hast die Unfallrente —
oder wie das heißt.«
    »Die ist so gering, die kannst
du vergessen.«
    »Es wäre ja nur ein Darlehen.
Ich will das Geld nicht geschenkt. Ich habe bald eine Ausstellung hier in
Mailand. Der Galerist meint, dass ich dann wie ein Geheimtipp gehandelt werde.
Man wird sich reißen um meine Bilder und du kriegst dein Geld zurück.«
    »Bezahl doch die Gangster mit
deinen Gemälden.«

    »Alex!«
    »Brüll mich nicht an!«
    »Ich brülle
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