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Hochzeit im Herrenhaus

Hochzeit im Herrenhaus

Titel: Hochzeit im Herrenhaus
Autoren: Anne Ashley
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gewissenhaft überdenken, Miss Milbank. Aber es hat wohl keine Eile. Wie ich annehme, werden Sie noch ein oder zwei Tage hierbleiben.”
    Offenbar war das Gespräch beendet. Annis stand auf und ging zur Tür. Dabei fiel ihr etwas ein, und sie zog die Börse des Viscounts aus der Tasche ihres Rocks, kehrte zurück und legte sie auf den Schreibtisch. “Ihr Eigentum, Sir, das ich Ihnen abnahm, als Sie bewusstlos auf der Straße lagen. Leider vergaß ich bisher, Ihnen diese Börse zurückzugeben. Was immer den Anschlag auf Ihr Leben veranlasst hat – offensichtlich war es kein Raubüberfall. Dieses Rätsel muss noch gelöst werden.”
    Wortlos schaute er ihr nach, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. “O ja, Miss Annis Milbank”, flüsterte er, ergriff die Börse und wog sie in einer Hand, als wollte er ihr Gewicht prüfen. “Und dieses Rätsel fasziniert mich längst nicht so sehr wie das Wesen der jungen Dame, die meinen Besitz in Gewahrsam nahm.”
    Annis sah den Viscount erst am Abend in dem kleinen Salon wieder, wo sich die Familie vor dem Dinner versammelte. Auch am Nachmittag hatte sich Miss Greythorpe als freundliche Gastgeberin erwiesen und ihr die meisten Räume des Herrenhauses gezeigt. Dieser Besichtigung schloss sich Louise an. Übermütig kicherte sie über die wenig schmeichelhaften Kommentare, die Annis zu den düsteren Mienen der Greythorpe-Ahnen auf den alten Porträts abgab.
    Deshalb staunte Annis über eine seltsam angespannte Atmosphäre, als sie den kleinen Raum betraten.
    Die Unrast schien noch zu wachsen, sobald sie im Speisezimmer Platz nahmen, und es dauerte nicht lange, bis Annis den Grund der Befangenheit erkannte.
    Auch wenn Sarah Greythorpe eine ihr völlig fremde Dame sehr liebenswürdig unter ihrem Dach aufgenommen hatte, besaß sie doch einen eher zurückhaltenden Charakter. Ebenso wie der Viscount war sie nicht von Natur aus redselig. Annis vermutete, die Geschwister verbrachten ihre gemeinsamen Abende zumeist in einträchtigem Schweigen. Vielleicht hatten sich ihre Lebensweise nach Louises Ankunft notgedrungen geändert. Aber zwei so reservierte Menschen verband sicher nicht allzu viel mit einem Mädchen in diesem Alter, schon gar nicht den Viscount, dem es zweifellos schwerfiel, seiner jungen Cousine über ihre angeborene Schüchternheit hinwegzuhelfen.
    Voller Mitgefühl beschloss Annis, ihm beizustehen, das Mädchen anzusprechen und zu einer Teilnahme an der Konversation zu ermuntern. “Wie ich mich entsinne, haben Sie erwähnt, dass Ihre Eltern gerade eine Reise durch Italien unternehmen. Wann erwarten Sie ihre Heimkehr?”
    “Im Spätfrühling”, lautete die knappe Antwort.
    “Und haben Sie mir heute nicht erzählt, Ihr Bruder würde in Oxford leben?”, fuhr Annis fort, fest entschlossen, das lebhafte Mädchen wieder heraufzubeschwören, dessen Gesellschaft sie an diesem Tag genossen hatte.
    “Ja – Tom. In seinem letzten Brief versprach er mir, er wolle versuchen, mich möglichst bald wiederzusehen.” Nun wirkte Louise noch trauriger. “Aber er wird wohl kaum an diesem Wochenende hierherkommen.”
    “Das ist unwahrscheinlich”, bekräftigte Greythorpe. “Nur ein Narr würde eine so weite Reise antreten, bevor es zu tauen beginnt.”
    “Wenn wir Glück haben, wird das nicht allzu lange dauern, und die Straßen sind wieder passierbar”, warf Annis hastig ein, bevor der Viscount die arme Louise noch tiefer betrüben konnte. “Wenigstens sind Sie dann nicht mehr ans Haus gefesselt, meine Liebe, und Sie werden sicher einen erfrischenden Galopp durch den Park genießen.” Wie sie sofort erkannte, hatte sie die falsche Methode gewählt, um das Mädchen aufzuheitern.
    Bedrückt senkte Louise den Kopf. “Nein, ich reite nicht – ich mag Pferde nicht.”
    “Vor etwa einem Jahr stürzte unsere Cousine aus dem Sattel und brach sich das Schlüsselbein”, erklärte Sarah. “Deshalb macht sie jetzt einen großen Bogen um alle Pferde.”
    “Das ist begreiflich”, meinte Annis und beobachtete, wie Lord Greythorpe unwillig die Stirn runzelte. Offenbar kannte er keine Geduld mit Menschen, die ihre Angst nicht überwanden. Bis zu einem gewissen Grad teilte sie seine Meinung. Andererseits verstand sie Louises Bedenken und wollte ihr beistehen. “Gewiss, sogar die sanftmütigsten Pferde verhalten sich manchmal unberechenbar und schlagen aus, wenn man es am allerwenigsten erwartet. Oder sie gehen plötzlich durch.”
    Dankbar lächelte Louise ihr zu. Anscheinend
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