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Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)

Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Jochen Frech
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»Nein!«
    Abermals verstrichen endlos scheinende Sekunden. Moritz lauschte den gleichmäßigen Atemgeräuschen seiner schweigenden Kollegin. Schließlich begann er zu erzählen: »Der Mann war an dem Morgen in die Verkaufsräume einer Tankstelle eingedrungen.« Das Zittern seiner Hand wurde stärker. »Er hat behauptet, mit seinem unleserlichen Lotterielos den Hauptgewinn erzielt zu haben. Er hatte zwei große Benzinkanister dabei und gedroht, die ganze Anlage in die Luft zu sprengen.« Kepplinger schnappte nach Luft. Er spürte das Trommeln seines Herzens. »In dem Moment, als wir an der Tankstelle eintrafen, begann er damit, sich das Benzin über den Kopf zu gießen. In beiden Händen hielt er ein Feuerzeug. Ein Kollege der Verhandlungsgruppe hat die ganze Zeit auf ihn eingesprochen, und schließlich ist es ihm auch gelungen, den Täter in einen Nebenraum zu locken. Wir standen zu viert hinter der Tür, haben ihn an den Armen gepackt und ihn mit den Kanistern zu Boden gerissen. Aber es ist uns nicht gelungen, ihn auf Anhieb zu fixieren. Während dieser Rangelei ist das Benzin immer weiter aus den Kanistern geströmt. Es hat fürchterlich gerochen, und meine Kleider haben sich mit dem Zeug vollgesogen. Aus dem Augenwinkel habe ich dann gesehen, wie Dirks Waffe den Betonboden gestreift hat. Ein winziger Funke hatte genügt. Und plötzlich stand alles lichterloh in Flammen. Meine Kollegen … ich … der Täter: Wir brannten!« Kepplinger hatte die Augen geschlossen. Es war ihm, als ob er dieses höllische Szenario ein zweites Mal durchstehen musste. »Ich habe mich aufgerappelt und bin durch den Hinterausgang ins Freie gerannt. Einfach weg. Direkt neben dem Gebäude befand sich eine Waschanlage, die auch gerade lief. Ich habe mich in die Wasserstrahlen gestürzt. Das Benzin in meinen Kleidern hat trotzdem weitergebrannt, aber das kühle Wasser hat mir letztlich das Leben gerettet. Aus dem Gebäude habe ich die Schreie meiner Kollegen gehört. Einen Moment lang habe ich noch überlegt, ob ich ihnen zu Hilfe eilen soll. Aber irgendetwas hat mich zurückgehalten. Wenige Sekunden später ist das Gebäude in die Luft geflogen. Die Geräusche der anderen sind von einem auf den anderen Moment verstummt.«
    Moritz wirkte erschöpft. Dann sagte er noch einen Satz, den seine Kollegin nie mehr vergessen würde. »Das Schlimmste war, dass ich mich jahrelang schuldig gefühlt habe, als Einziger überlebt zu haben.«
    Er wandte sich zu Lea um, die wie versteinert vor ihm stand. Tränen der Bestürzung standen ihr in den Augen. Es war offensichtlich, dass sie nicht im Entferntesten mit so einer Geschichte gerechnet hatte. Er verspürte das plötzliche Bedürfnis, etwas Versöhnliches hinzuzufügen. Aber er hatte keine Kraft mehr. Sein ganzer Körper zitterte wie Espenlaub.
    Lea trat vor ihn, nahm ihn in den Arm und berührte sein nasses Haar mit ihrem Gesicht.
    »Ich bin froh, dass du lebst, Moritz!«
    Ihre Stimme klang aufrichtig.
    »Hörst du: Ich bin froh, dass es dich gibt!«
    Es dauerte, bis er sich beruhigte. Die Umarmung tat ihm gut. Lea war ihm in diesem Moment so nahe, wie niemand anderes es seit dem Inferno gewesen war. Er hatte bislang mit keinem Menschen darüber gesprochen. Nicht einmal mit seiner Psychologin, obwohl er manchmal kurz davor gestanden hatte. Mit einem Mal fühlte er sich matt und ausgelaugt. Doch mit jeder Minute, die verging, wich die Leere einem Gefühl der Erleichterung. Er hatte sich getäuscht. Es war dumm gewesen, diese Last in seinem Inneren wegzusperren. Plötzlich drängte sich ihm ein anderer Gedanke auf. Er wollte weg von diesem Ort. Er löste sich behutsam aus ihrer Umarmung, nahm Lea bei der Hand und zog sie zum Ausgang.

SAMSTAG
24. August 2013

Z um ersten Mal nach einer unerwartet langen Regenperiode durchbrach die Sonne die dichte Wolkendecke über der Region. Es hatte vier Wochen beinahe ununterbrochen geschüttet. Die Menschen strömten überrascht aus ihren Häusern, als ob sie vergessen hätten, wie sich ein warmer Sonnentag anfühlte. Die heißen Tage im Juni und Juli waren bei den meisten längst in Vergessenheit geraten.
    Am Morgen, nachdem er den überquellenden Postkasten geleert hatte, entdeckte er den Brief zwischen einigen Werbeprospekten.
    Er erkannte die Schrift auf der Luftpost. Den Stempeln nach befand sie sich zurzeit im Sudan. Hastig riss er das dünne Papier auf.
    Gleich auf den ersten Zeilen bedankte sie sich für seinen Brief. Sie habe sich schon Sorgen gemacht, da
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