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Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Titel: Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
Autoren: Joanne Harris
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wieder von vorn anfangen, père. Vielleicht versuche ich mich als Zimmermann. Oder als Gärtner. Oder ich unterrichte. So richtig vorstellen kann ich mir das zwar nicht, aber ich hatte ja noch nie viel Phantasie, père. Und ich kann mir so einen Neuanfang immer noch besser vorstellen, als jemals eine andere Gemeinde zu betreuen.
    In Saint-Jérôme werde ich schmerzlich vermisst. Nach dem Zwischenfall mit Vlad ist Père Henri nicht mehr nach Lansquenet gekommen. Die Glocken schweigen seit vergangenem Samstag, und es hat auch niemand die Messe gelesen. Vielleicht wartet Père Henri, bis ich weg bin. Vielleicht hat der Bischof ihm gesagt, er solle sich lieber fernhalten, bis ich mich verabschiedet habe.
    Abenddämmerung. Der Mond ist aufgegangen, von meinem Bett aus kann ich ihn sehen. Ich schlafe mit offenen Fensterläden. Die Dunkelheit habe ich noch nie gemocht, und seit meinem Aufenthalt im Bauch des Walfischs mag ich sie noch weniger. Wenn ich aus quälenden Träumen aufwache, will ich die Sterne sehen.
    Ich höre Joséphine im Wohnzimmer nebenan herumhantieren. Ich kann sagen, was ich will, sie geht nicht nach Hause. Bleibt immer höchstens eine Stunde weg, um nach Pilou zu sehen und die Lage im Café zu kontrollieren, aber Paul kümmert sich dort um alles und macht seine Aufgabe zur Abwechslung mal richtig gut. Wahrscheinlich sollte ich mich darüber wundern. Aber nach allem, was in Les Marauds vorgefallen ist, wundert mich fast gar nichts mehr. Die Menschen sind nicht immer so, wie man denkt, und selbst ein Ekelpaket wie Paul-Marie kann uns eine angenehme Überraschung bereiten.
    Viannes Pfirsichkern liegt auf meinem Nachttisch. Typisch, dass ausgerechnet sie mir so etwas schenkt. Vianne, die nie lange genug an einem Ort bleibt, um zu sehen, dass ein Samenkorn Früchte trägt. Symbol des ewigen Lebens. Na, so was! Der Mond nimmt ab und hat sein letztes Viertel erreicht. Auf der anderen Seite des Tannes ertönt der Ruf zum Abendgebet. Hier, in der wirklichen Welt, klingt der Ruf nicht mehr so bedrohlich. Diese Ängste habe ich im Bauch des Walfischs zurückgelassen, zusammen mit vielen anderen Dingen. Ich glaube nicht, dass ich dadurch ein besserer Mensch geworden bin. Trotzdem hat sich in meinem Inneren etwas verändert. Ich fange allerdings erst ganz langsam an, diese Veränderung zu erforschen, so wie man mit der Zungenspitze die empfindliche Stelle im Mund untersucht, nachdem ein schmerzender Zahn gezogen wurde.
    Ich weiß nicht genau, wie es passiert ist. Aber etwas, das mit Vianne Rocher begonnen hat, ist nun mit Inès Bencharki zu Ende gegangen. Und zum ersten Mal seit sieben Tagen weiß ich, dass ich heute Nacht schlafen werde. Und wenn ich zwischendurch aufwache, sehe ich die Sterne.

14

    Donnerstag, 2. September
    Heute Morgen bin ich aufgestanden, obwohl Cussonet es mir verboten hat. Joséphine war auch nicht einverstanden. Voller Schrecken musste ich feststellen, dass ich wirklich extrem geschwächt bin. Ich brauchte ewig, um mich anzuziehen. Aber es passiert nicht alle Tage, dass man Besuch vom Bischof bekommt, und ich hatte nicht die Absicht, ihn in der Horizontalen zu empfangen.
    Ich ging unter die Dusche und überlegte dann lange, was ich anziehen sollte. Schließlich entschied ich mich für meine alte Soutane, die ich seit Jahren nicht mehr getragen habe. Es ist vielleicht die letzte Gelegenheit, dachte ich und staunte ein bisschen, dass mir dieser Gedanke so weh tat. Joséphine war weggegangen, weil sie sich um Pilou kümmern wollte, also begab ich mich in die Küche, um mir Frühstück zu machen.
    Joséphine hatte mir schon gesagt, dass einige Leute etwas zu essen mitgebracht hatten. Das war stark untertrieben – in der Küche war jede freie Fläche mit Schüsseln, Dosen und Schachteln vollgestellt. Kasserollen, Quiches und Kuchen. Kekse, Obst und Gebäck. Weinflaschen. Marmelade. Braten und Schmorfleisch, Currys und Suppen sowie ein riesiger Stapel marokkanischer Pfannkuchen. Und im Kühlschrank entdeckte ich verschiedene Käsesorten, außerdem Schinken, kaltes Fleisch und Pasteten.
    Die schiere Menge und die enorme Auswahl brachten mich ganz durcheinander. Also machte ich mir nur eine Tasse Kaffee und toastete eine Scheibe Brot. Anschließend trat ich zum ersten Mal seit über einer Woche hinaus in meinen Garten.
    Jemand hatte meine Blumenbeete gejätet, die widerspenstige Kletterrose gestutzt, Dutzende von roten Geranientöpfen gepflanzt sowie die Malven hochgebunden, bevor sie umkippen
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