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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz
Autoren: Christiane Tramitz
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nicht nur des Weilers, sondern des ganzen Tals. Mit ihrer schlanken Gestalt, ihrem ebenmäßigen Gesicht und dem dichten blonden Haar, das in der Sonne wie Gold glänzte, war sie nach ihrer Mutter geraten. Diese war im Kindsbett nach der schweren Geburt ohnmächtig geworden und verblutet, ohne ihr Kind auch nur eine Sekunde lang gesehen zu haben.
    Doch hatte Agnes nicht nur ihr Aussehen geerbt, sondern auch das schüchterne und empfindsame Wesen. Wie ihre Mutter duldete sie des Vaters Ungehobeltheit mit Demut und Hingabe, schwieg, wenn er brüllte, sorgte sich um ihn, wenn er sonntags mit wankendem Gang vom Tal kam und gehorchte, wenn er ihr vorschrieb, wie sie den Tag zu verbringen und welche Kleidung sie zu tragen hatte.
    Magd Maria lehrte die Bauerntochter alles, was der Mutter Aufgabe gewesen wäre, den Haushalt führen, das Waschen und Kochen. Als Agnes klein war, saß Maria abends lange an ihrem Bett und erzählte Geschichten von dem Tod der saligen Schwestern, von der verborgenen Stadt unter dem Seiterer Gletscher, vor allem aber von den Hexen mit den langen, schmutzigen Haaren, die im Tal und auch im Weiler ihr Unwesen trieben. Dann tat sich die kleine Agnes schwer mit dem Einschlafen, sie lauschte dem Rauschen der Bäume und dem Klappern der Fensterläden, wenn der Wind um das Haus strich. Und alsbald kamen sie, die Dämonischen. Sie schwirrten durch die Lüfte, in wehender Kluft und mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen. Auf ihren Buckeln hingen festgekrallt die schwarzen Katzen mit ihren buschigen Schwänzen und fauchten.
     
    Agnes war verheiratet mit Vinzenz, dem zweiten Sohn eines eher mittellosen Flachsbauern aus dem Tal.
    Vinzenz hatte Agnes beim großen 100-jährigen Gaufest gesehen. Er war kein Kind von Traurigkeit, liebte die Sennerinnen ebenso wie die Mägde, noch mehr aber diese schöne Bauerntochter, die ihm auf den ersten Blick gefiel, wie sie versonnen neben ihrem Vater saß und alles zu haben schien, was ein Herz begehrte: einen schönen Körper, blonde Locken und einen vollen Mund. Und weil ihm sein Freund, der Fender Hans, auch noch verriet, sie sei die einzige Erbin eines ordentlichen Hofes, war er nicht mehr zu halten. Als die Musikkapelle mit einem fröhlichen Ländler die Burschen und Mädchen zum Tanz aufforderte, stellte er sich vor die Agnes. »Willst du mit mir tanzen?«, fragte er, und weil diese nur stumm zu Boden blickte, gab ihr ihr Vater einen Stoß in die Seite.
    »Komm schon, steh auf und tanz«, zischte er ihr mit aller Strenge ins Ohr.
    Die Musikanten begannen zu singen:
     
    Genau ins Herz, wo de Liab drin sitzt
    Hast du di g’setzt, ja des is gwiss
    Mi hat’s packt wia noch nie
    Und jetzt g’hör ich dir.
     
    Agnes erhob sich, Vinzenz legte ihre Hand in die Seine und führte die schöne Bauerntochter auf den Tanzboden. Als der Ländler in einen Walzer überging, umfasste Vinzenz ihre Hüften etwas fester und spürte ihren Busen. Weil Agnes nicht sprach und die Augen nur gesenkt hielt, konnte er sie verzückt betrachten wie ein schönes Gemälde, ihren weichen Flaum an der Wange, ihre zarten Nasenflügel, die dichten langen Wimpern. Er roch ihr Haar, ihre Haut. Und so tanzte die Wollust mit, so heftig, dass Vinzenz drohte, die Kontrolle über sich zu verlieren. Sobald der letzte Takt geschwungen war, brachte er die Schöne zurück an ihren Tisch, drehte sich um und verschwand im Häusl, so schnell, als sei der Teufel hinter ihm her. Die Musikanten spielten gerade wieder richtig auf, als Vinzenz die Lust in seinen Händen zum Höhepunkt brachte.
    Im gleichen Sommer noch läuteten die Hochzeitsglocken, so hatte es der Kraxnerbauer befohlen. Die Hofübergabe ließ jedoch auf sich warten.
    »Beweis dich erst«, hatte er zu Vinzenz gesagt.
    Am Morgen der Trauung war Agnes von starker Übelkeit geplagt. Ihre sonst so rosigen Wangen hatten eine aschfahle Farbe angenommen. Ihre Lider waren von feinen roten Bahnen geplatzter Äderchen durchzogen, so sehr hatte sie sich erbrechen müssen. Arg mitgenommen sah die junge Frau aus, als ihre geschickte Freundin, die taubstumme Cilli, sie für den festlichen Tag und für die Augen des zukünftigen Mannes ankleidete, frisierte und schmückte. Die Braut saß auf einem Stuhl, aufrecht und reglos, im eng geschnürten Korsett. Um ihren Hals trug sie ein silbernes Medaillon, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Während sie die Bluse zuknöpfte, sah sie mit leeren Augen in den Spiegel. Cilli stand hinter ihr und beobachtete
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