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Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
Autoren: Alice Munro
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sagte sie. »Da bekommt er Kinder und alles Mögliche zu sehen. Wenn es ihm nicht ans Herz geht wegen seiner beiden Enkelkinder, die er nie zu Gesicht kriegt. Oder jetzt verkehren die großen Frachtschiffe wieder auf dem See, vielleicht hat er Spaß daran, die zu beobachten.«
    Sie stand auf und holte ihre Zigaretten und ihr Feuerzeug vom Fensterbrett über der Spüle.
    »Rauchen Sie?«, fragte sie.
    Er sagte nein danke, obwohl er nicht wusste, ob ihm eine Zigarette angeboten wurde.
    »Haben Sie nie geraucht? Oder haben Sie aufgehört?«
    »Aufgehört«, sagte er.
    »Wie lange ist das her?«
    Er dachte nach.
    »Dreißig Jahre. Nein – länger.«
    Er hatte ungefähr um die Zeit, als er etwas mit Jacqui anfing, beschlossen aufzuhören. Aber er konnte sich nicht mehr erinnern, ob er zuerst aufgehört hatte, weil anschließend eine große Belohnung dafür auf ihn zukam, oder ob er es an der Zeit gefunden hatte aufzuhören, weil er jetzt eine so beanspruchende Ablenkung hatte.
    »Ich habe mit dem Aufhören aufgehört«, sagte sie und zündete sich eine an. »Hab einfach beschlossen, mit dem Aufhören aufzuhören und Schluss.«
    Vielleicht war das der Grund für die Runzeln. Jemand – eine Frau – hatte ihm gesagt, dass Frauen, die rauchten, eigentümlich viele Runzeln im Gesicht bekamen. Aber es konnte auch an der Sonne liegen oder einfach an ihrem Hauttyp – ihr Hals war ebenfalls ungewöhnlich faltig. Ein faltiger Hals jugendlich volle und emporgestemmte Brüste. Frauen in ihrem Alter wiesen meistens diese Gegensätze auf. Die Vor- und Nachteile, das genetische Glück oder Pech, alles miteinander vermischt. Nur wenige bewahrten sich ihre Schönheit ganz, wenn auch überschattet, wie Fiona es getan hatte.
    Und vielleicht stimmte das gar nicht. Vielleicht bildete er sich das nur ein, weil er Fiona gekannt hatte, als sie jung war. Vielleicht musste man, um diesen Eindruck zu gewinnen, eine Frau gekannt haben, als sie jung war.
    Wenn also Aubrey seine Frau ansah, sah er dann eine spottlustige, freche Siebzehnjährige, deren blassblaue Augen einen anziehenden Silberblick hatten und deren feuchte Lippen sich um eine verbotene Zigarette schlossen?
    »Ihre Frau ist also depressiv?«, sagte Aubreys Frau. »Wie heißt sie noch gleich? Ich hab’s vergessen.«
    »Fiona.«
    »Fiona. Und wie heißen Sie? Ich glaube, das haben Sie mir noch gar nicht gesagt.«
    Grant sagte: »Grant.«
    Sie streckte unerwartet die Hand über den Tisch.
    »Hallo, Grant. Ich heiße Marian.«
    »Wo wir uns jetzt bei Namen kennen«, sagte sie, »hat es keinen Sinn, Ihnen nicht geradeheraus zu sagen, was ich denke. Ich weiß nicht, ob er immer noch so wild darauf ist, Ihre … Fiona wiederzusehen. Oder nicht. Ich frage ihn nicht danach, und er sagt es mir nicht. Vielleicht nur eine vorübergehende Schwärmerei. Aber ich habe keine Lust, ihn dahin zurückzubringen, und dann stellt sich womöglich raus, es ist mehr als das. Ich kann mir nicht leisten, das zu riskieren. Ich will nicht, dass er zu schwierig wird. Ich will nicht, dass er durcheinanderkommt und sich anstellt. Ich habe so schon alle Hände voll mit ihm zu tun. Ich habe keine Hilfe. Ich bin hier ganz allein.«
    »Haben Sie je in Betracht gezogen – Sie haben es wirklich sehr schwer –«, sagte Grant, »haben Sie je in Betracht gezogen, ihn auf Dauer dort unterzubringen?«
    Er hatte seine Stimme fast zu einem Flüstern gesenkt, aber sie spürte keine Notwendigkeit, leise zu sprechen.
    »Nein«, sagte sie. »Ich behalte ihn hier.«
    Grant sagte: »Das ist sehr gut und edelmütig von Ihnen.«
    Er hoffte, das Wort »edelmütig« hatte nicht sarkastisch geklungen. Jedenfalls hatte er es nicht sarkastisch gemeint.
    »Finden Sie?«, sagte sie. »Edelmut ist nicht gerade das, woran ich denke.«
    »Trotzdem. Es ist nicht einfach.«
    »Nein, ganz und gar nicht. Aber in meiner Lage bleibt mir keine große Wahl. Wenn ich ihn da unterbringe, habe ich nicht das Geld, um dafür aufzukommen, außer ich verkaufe das Haus. Das Haus ist das Einzige, was uns ganz gehört. Ansonsten habe ich keinerlei Einkünfte. Nächstes Jahr kriege ich Rente, und dann habe ich seine Rente und meine Rente, aber nicht mal damit könnte ich mir leisten, ihn da unterzubringen und das Haus zu behalten. Und das Haus bedeutet mir nun mal sehr viel.«
    »Es ist ein sehr schönes Haus«, sagte Grant.
    »Es geht. Ich habe viel reingesteckt. Um es auf Vordermann zu bringen und instand zu halten.«
    »Das haben Sie bestimmt. Das
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