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High Heels und Gummistiefel

Titel: High Heels und Gummistiefel
Autoren: M Zagha
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Stufen hoch, die zu ihr hinaufführten, gingen zu einer Bank nahe der Mitte und setzten sich.
    Daisy blickte in die Ferne, auf die Spitze der Île de la Cité – rosa Häuser und ein winziger Flecken Grün -, dann wandte sie sich zu ihm um. »Wie lange hast du gewartet? Damals, an dem Tag?«
    »Eine Weile. Daisy, das ist jetzt wirklich nicht mehr wichtig.«
    »Oh!«

    Er musste stundenlang hier gewesen sein, alle möglichen Gründe ersonnen haben, warum sie zu spät kommen könnte. Jede junge Frau, die vorüberkam, hatte bestimmt so ausgesehen wie sie, aber keine von ihnen war sie gewesen. Daisy konnte sich vorstellen, wie seine Stimmung, zuerst freudig erregt und voller Hoffnung, nach und nach in ein Gefühl der allerschrecklichsten Enttäuschung und des Scheiterns umgeschlagen war. Und dann war er ganz allein nach Hause gegangen. Sie fror schon bei dem bloßen Gedanken daran.
    »Aber du hättest mich doch anrufen können«, sagte sie sanft. »Warum hast du’s nicht getan?«
    Er furchte die Stirn. »Weil du hier sein oder nicht hier sein solltest. So hatte ich es mir im Kopf zurechtgelegt.«
    »Und in dem Brief, den ich nicht gefunden hatte.«
    »Ja«, gab er lachend zu. »Mein Plan hatte eine Schwachstelle. Ich habe schon immer viel zu sehr dazu geneigt, mich auf abstrakte Theorien zu verlassen.«
    »Aber hinterher, als wir uns ein paar Tage später wieder getroffen haben, hast du da nicht gemerkt, dass ich keine Ahnung hatte, dass irgendetwas los war?«
    »Ich dachte, das Ganze zu ignorieren, so zu tun, als wäre es nie passiert, wäre deine Art -«
    »Dich auf die sanfte Tour abblitzen zu lassen? Ist das dein Ernst? Du musst ja gedacht haben, ich wäre das Hinterletzte!«
    »Nein«, sagte Etienne und schaute auf den Fluss. »Ich habe alles akzeptiert, was von dir kam.«
    »Wie hast du das ausgehalten?«
    »Nicht besonders gut.« Er wandte sich wieder um und sah Daisy an. »Aber am Ende hat es sich gelohnt.«
    Daisy schob die Hand unter seinen Arm und legte den Kopf auf seine Schulter. Ohne zu sprechen saßen sie da. Währenddessen
drehte und wendete sie eine Frage in ihrem Kopf, über etwas, das sie noch immer verwirrte.
    »Etienne? Erinnerst du dich noch an meine Freundin Marie-Laure? Du bist ihr einmal in der Sorbonne begegnet.«
    »Ja, ich glaube schon.«
    »Also, sie hat gesagt, um so ein brillanter Intellektueller zu sein wie du, müsste man sich ganz und gar den geistigen Dingen widmen. Sonst dürfe einem nichts und niemand im Leben wichtig sein. Dass man sein müsste wie... ein Mönch oder so etwas.«
    Etienne starrte sie an. » Ein Mönch?«
    »Das hat sie gesagt. Und das Gefühl hatte ich auch bei dir.« Sie biss sich auf die Lippe und verstummte.
    »Ah, dann hast du also gedacht, ich wäre über fleischliche Dinge erhaben«, meinte Etienne nachdenklich. »Très intéressant.«
    Noch immer beklommen, warf Daisy ihm von der Seite her einen raschen Blick zu. »Aber, ich meine, das bist du doch nicht, oder? Darüber erhaben, meine ich?«
    Er hielt ihren Blick mit dem seinen fest. »Daisy, ich würde dich mit Freuden jetzt sofort auf dieser Bank flachlegen. Das ist dir doch bestimmt klar.«
    »Oh. Okay«, antwortete sie atemlos. »Ich meine, es ist mir klar.«
    Sanft drückte er ihren Arm mit seinem. »Möchtest du Frühstück? Sollen wir zurückgehen? Wir können uns unterwegs ein paar Croissants holen, wenn du magst.«
    »Das wäre schön.«
    Als sie sich erhoben und einander gegenüberstanden, kehrte ein wenig von der ursprünglichen Spannung zurück. Ein paar Herzschläge später zog Etienne Daisys Gesicht zu sich heran und küsste sie auf den Mund. Es war eine unendliche Erleichterung, sich gegen ihn sinken zu lassen und seinen Kuss hingebungsvoll zu erwidern. Wie erstaunlich, dachte Daisy, als sie sich widerstrebend von ihm
löste, um wieder zu Atem zu kommen, und in seine dunklen Augen blickte, dass man jemandem körperlich so nahe kommen und ihn immer noch so rätselhaft finden kann.
    Eine kurze Pause entstand, dann sagte Etienne ernst: »Weißt du, was schrecklich wäre?« Er zog mit dem Daumen den Umriss ihres Mundes nach.
    »N-nein? Was?«, brachte Daisy hervor.
    »Wenn sich nach all dem – dem Brief, den du nicht gefunden hast, dem Missverständnis, deinem Besuch heute Morgen – herausstellen würde, dass wir nicht kompatibel sind. Sexuell.«
    »Oh ja«, flüsterte sie in seine Schulter hinein, »das wäre schrecklich.«
    »Es läuft immer auf Theorie und Praxis hinaus, nicht wahr? Ich weiß
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