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Hexer-Edition 08: Engel des Bösen

Hexer-Edition 08: Engel des Bösen

Titel: Hexer-Edition 08: Engel des Bösen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zusammenzustoßen. Kopfschüttelnd sah er der Frau einen Moment lang nach, dann drehte er sich wieder herum, machte einen Schritt – und blieb abrupt wieder stehen.
    Vor ihm saß eine Ratte.
    Das Tier war so groß wie ein Terrier, aber viel kräftiger, und seine Augen waren von wacher, sonderbar wissender Art. Sein Maul war leicht geöffnet, sodass Kilian die Ehrfurcht gebietenden Reißzähne des kleinen Ungeheuers sehen konnte, und die Krallen scharrten unentwegt über das noch taufeuchte Kopfsteinpflaster der Straße, aber es war nichts Drohendes in dieser Geste.
    »Er will mich aber doch holen, der graue Herr«, sagte Kilian. Er kicherte, völlig grundlos und mit verzerrter, bebender Stimme, und fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen. Die Ratte wandte sich um, trippelte ein paar Schritte die Straße herab und sah zu Kilian zurück. Ihre Barthaare zitterten.
    »Ich komme«, sagte Kilian. »Aber der graue Herr muss auf mich warten. Meine Beine sind nicht mehr so jung wie die seinen.«
    Die Ratte wartete geduldig, bis der Alte sich in Bewegung gesetzt und sie fast erreicht hatte, dann trippelte sie weiter.
    Der Alte merkte nicht, wie sich hinter ihm mehr und mehr Türen öffneten und das halbe Hundert Einwohner von St. Aimes nacheinander auf die Straße hinaustrat und sich in westlicher Richtung in Bewegung setzte. Er bemerkte auch nicht die anderen, kleineren Wesen, die plötzlich von überall her auftauchten und auf lautlosen Pfoten in die Häuser huschten, die von ihren menschlichen Bewohnern verlassen worden waren …
     
    Als ich gekommen war, war die Sonne gerade aufgegangen und das altehrwürdige Gebäude schien noch nicht ganz erwacht zu sein und blinzelte gerade seine Müdigkeit fort. Jetzt stand die Sonne hinter den blind gewordenen Scheiben des kleinen Büros fast im Zenit und verriet mir, dass es fast Mittag war. Ich fühlte mich erschöpft und ein wenig müde. Ich hatte geredet, zugehört, wieder geredet und zugehört, Fragen beantwortet und selbst welche gestellt und irgendwann, vielleicht vor einer Stunde, vielleicht auch vor drei oder vier, hatte das Gespräch angefangen, sich im Kreise zu drehen.
    Mein Gesprächspartner – ein Hüne von annähernd fünfzig Jahren – wirkte genauso müde und erschöpft wie ich, obgleich er sich Mühe gab, eine seiner Stellung entsprechende würdevolle Haltung beizubehalten. Sein Name war Wilbur Cohen – Captain Wilbur Cohen, wenn ich genau sein wollte – und er war so etwas wie der stellvertretende Leiter der Institution, in deren Mauern ich mich befand: Scotland Yard.
    Es war das zweite Mal innerhalb weniger Monate, dass ich hier zu Gast war. Ein paar der äußeren Umstände waren anders – diesmal war ich wenigstens nicht in Handschellen hergeführt worden, das Büro war ein anderes und auch der Mann hinter dem Schreibtisch unterschied sich (nicht nur äußerlich) von Tornhill; und wenn diese Unterredung vorüber war, würde ich als freier Mann nach Hause gehen können.
    Trotzdem fühlte ich mich jetzt so unbehaglich wie beim ersten Mal; vielleicht mehr.
    Cohen seufzte und unterbrach so das lange, unangenehme Schweigen, das sich zwischen uns ausgebreitet hatte. »Und das ist jetzt alles?«, fragte er.
    Ich nickte und hielt seinem Blick gelassen stand. »Das ist alles, Captain. Mehr kann ich Ihnen nicht erzählen.«
    »Sonst wirklich nichts?«, vergewisserte sich Cohen. »Keine Leichen mehr im Keller, keine verrückten Attentäter mehr hinter Hecken, keine Ratten oder vielleicht Spinnen, die -«
    »Verdammt, hören Sie auf«, unterbrach ich ihn, lauter und um mehrere Grade gereizter, als ich eigentlich vorgehabt hatte. Aber Cohens offen zur Schau gestelltes Misstrauen trieb mich schier zur Raserei. »Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann, Captain.« Ich beugte mich vor, ließ die flache Hand auf den Tisch klatschen und setzte die beleidigteste Miene auf, die ich zustande brachte. »Wenn ich Sie daran erinnern darf, Captain – es ist reines Glück, dass meine Freunde und ich noch am Leben und nicht ebenfalls verschwunden sind. Sie tun so, als hätten Sie mich auf frischer Tat ertappt und verhaftet. Verdammt – ist es neuerdings strafbar, Opfer eines Mordanschlages zu sein?«
    Mein Wutausbruch irritierte Cohen nicht im Geringsten. Und ich konnte es ihm nicht einmal übel nehmen, wenn er mir misstraute. Es war eine Menge geschehen, seit ich das Haus meines Vaters am Ashton Place bezogen hatte. Im Grunde war es nur einer ganzen Reihe mittlerer
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