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Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Titel: Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf
Autoren: C.H.Beck
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Klemmungen herauskommen und in dieser Hinsicht uns ganz nobel befinden werden».
    In dieser Hinsicht immerhin nobel – wenn auch leider tot. Ebendiese Klemmungen aber waren es, über die Rahel Varnhagen in ihren privaten Aufzeichnungen immer wieder nachdenkt und die nicht wenig damit zu tun hatten, daß sie nicht als Jude, sondern als Jüdin geboren war.
    Daß in Europa Männer und Weiber zwei verschiedene Nationen sind, ist hart. Die einen sittlich, die anderen nicht; das geht nimmermehr!
    Selbst wenn eine Frau sich als Schriftstellerin durchsetzen konnte, blieb sie doch immer noch eine ängstliche Frau. Madame de Staël verlasse die Angst nicht, daß Weiber von schriftstellerischem Talent nicht könnten weiblich gefunden werden oder ihre Werke doch nicht so hoch zu stellen seien als die der Männer:
    Arme Furcht! ein Buch muß gut sein, und wenn es eine Maus geschrieben hat, und wird dadurch nicht besser, wenn sein Autor Engelsflügel an den Schultern trägt!
    Nicht, daß diese Gefahr bei den meisten Männern drohte – aber sehr richtig bemerkt. Der Geist, der sich in Rahels Tagebüchern zeigt, ist in Dingen des Lebens ebenso illusionslos wie in solchen der Kunst. Daß sie mit philosophischem Blick und männlichem Mut in alle Verhältnisse des Lebens eindringe, bestätigt ihr keine geringere als JohannaSchopenhauer, die Mutter des Philosophen, dessen Hauptwerk im Jahr von Rahels zweiter Saloneröffnung erscheint. Rahel hätte darin einiges wiedererkannt. Und ginge der folgende Passus aus ihrem Tagebuch nicht fast unbemerkt auf einer Seite der
Welt als Wille und Vorstellung
durch?
    So wie kein Dichter sich ausdenken kann, was besser, mannigfaltiger und sonderbarer wäre, als was sich wirklich in der Welt entwickelt und zuträgt, und nur der den besten Roman machen kann, welcher Kraft genug hat, zu sehen und in seiner Seele auseinanderzuhalten: ebenso sind unsere tief natürlichsten Wünsche roh; und greuelhaft entwickelt sich ihre Erfüllung […]
    Als scharfe Psychologin zeigt Rahel Varnhagen sich auch in ihrem sezierenden Blick auf das Motivgeschling der Liebe oder Liebespolitik. Man beachte immer noch nicht genug, wieviel die Neigungen der Menschen untereinander in den größten und geheimsten Welthändeln bewirkten, störten und erzeugten – und jetzt die Volte, die sie als Nachfahrin eines französischen
moraliste
ausweist:
    noch weniger aber beachtet man, wie Liebesverhältnisse durch Ehrgeiz, Staatsverhältnisse, Stellung der Gesellschaft überhaupt, modifiziert, sogar öfters nur allein begründet werden.
    Was nun den Ehrgeiz und die Stellung in der Gesellschaft betrifft: Johanna Schopenhauer, die in Wahrheit neidisch auf Rahels Salonkünste war und ihr darin nacheifern wollte, übertraf die Konkurrentin nur in einem Punkt. Ihr Salon war in Weimar, wo sie Goethe noch glühender umwerben konnte, als es Rahel in Berlin möglich war.
    Auch das Ehepaar Varnhagen machte allerdings noch regelmäßig Besuch beim Hausherrn des Frauenplan. Anders als die Romantiker fand Rahel es nicht irgendwann
à la mode,
auf den großen Mann zu pesten. Er war ihr in ihrem unsteten, getriebenen Leben immer ein Vorbild und Ruhepol.
    Bei jedem Schritt im Leben, bei jeder neuen Ecke, um die man in seiner eigenen Seele herumkommt, wird einem etwas anderes von Goethe merkwürdig und klar.
    Großes, generöses Wort einer Frau, die den Verehrten um genau ein Jahr überlebte und das Pech hatte, zwei Jahrhunderte zu früh auf der Welt zu erscheinen. Hundertfünfzig hätten nicht genügt, dann wäre sie in die Generation Anne Franks geboren.

Unbeschreibliche Leere ohne Knöbel
    Doch zurück zu den Verächtern des Weimarer Granden. Der 1796 geborene Lyriker August Graf von Platen, der mit nur neununddreißig Jahren im italienischen Exil verstarb, die «Tulpe des deutschen Dichtergartens», laut der Gedenktafel an seinem Ansbacher Geburtshaus, stand insofern im Lager Waiblingers, als auch er sich ausdrücklich gegen Goethe wandte. Nach seiner Lektüre der
Confessions
notierte Platen: «Nur durch diesen letzten Grund von Aufrichtigkeit kann eine Selbstbiographie interessant werden. Wollte Gott, es hätten uns alle großen Männer statt einer ›Wahrheit und Dichtung‹ eine Beichte hinterlassen wie Rousseau.»
    Die Spitze ist typisch für den gewandelten Zeitgeist. In diesem Sinn der Rousseauschen rückhaltlosen Beichte begann Platen mit sechzehn sein Tagebuch. Ihm vertraute er all seine inneren Regungen an, wovon es in dieser Zeit viele
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