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Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Titel: Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf
Autoren: C.H.Beck
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Gegenscheins um so mehr, als zugleich seine Planetenstunde eingetreten war. Er widersetzte sich daher meiner Geburt, die nicht eher erfolgen konnte, als bis diese Stunde vorübergegangen.
    Diese guten Aspekten, welche mir die Astrologen in der Folgezeit sehr hoch anzurechnen wußten, mögen wohl Ursache an meiner Erhaltung gewesen sein: denn durch Ungeschicklichkeit der Hebamme kam ich für tot auf die Welt, und nur durch vielfache Bemühungen brachte man es dahin, daß ich das Licht erblickte.
    Wie anders die Umstände der Rahel Levin, die 1771 in Berlin als ältestes Kind eines wohlhabenden Juwelenhändlers geboren wird. Bei ihr war es mit der Fast-Totgeburt gerade andersherum. «Wenn meine Mutter gutmütig und hart genug gewesen wäre und sie hätte nur ahnen können, wie ich werden würde», schreibt Rahel nicht ohne Bitterkeit, «so hätte sie mich bei meinem ersten Schrei im hiesigen Staub ersticken sollen.»
    Was immer aus ihr werden würde und werden konnte in diesem hiesigen Staub, als Frau und Jüdin war Rahel gleich doppelt inhibiert. Hannah Arendt, ihre erste Biographin, spricht von der «Infamie der Geburt» und von Rahels lebenslangem Versuch, sich als Jüdin in einer fremden Welt zu orientieren – voller Menschenhunger, gierig nach jeder Äußerung, oft taktlos und zudringlich, mit einer Neugier und einem leidenschaftlichen Gespanntsein, das aus den Menschen fast magnetisch die Geheimnisse herausziehe. Erst auf dem Sterbebett, wie ihr Mann überliefert, möchte sie um keinen Preis missen, was «so lange Zeit meines Lebens mir die größte Schmach, das herbste Leid und Unglück war, eine Jüdin geboren zu sein».
    Nach dem Tod des Vaters, den sie schon mit neun Jahren verliert, war Rahel vom zweifelhaften Großmut ihrer Brüder abhängig. Sie war «nicht reich, nicht gebildet und nicht schön», wie ihre Biographin zusammenfaßt, und hatte nichts als ihren Geist. Der Beruf der freien Schriftstellerinwar für sie nicht vorgesehen. Ihre literarische Hinterlassenschaft sind Tagebücher und Briefe, ihr Genius war das Gespräch. Rahels Witz war funkelnd genug, die gesamte deutsche Romantik in ihre Dachstube in der Jägerstraße zu locken, wo sie ab 1790 nicht Hof, aber Salon hielt – Minister, Gesandte, berühmte Schauspielerinnen, die Brüder Humboldt, die sie nicht mochten, Friedrich Schlegel, Schleiermacher, Brentano, Chamisso, die Brüder Tieck sprachen vor; selbst Jean Paul, kein Salonlöwe von Natur, ließ sich sehen. 1795 traf sie in Karlsbad zum ersten Mal Goethe, und anders als einige ihrer Gäste schmälte sie ihn nicht. Als 1806 Napoléons Truppen in Berlin einziehen, zerfällt der Kreis, Rahel verläßt die Wohnung im Streit mit der Mutter, die nach der Entbindung verabsäumt hatte, sie zu ersticken. Acht Jahre später läßt Rahel sich taufen und heiratet den vierzehn Jahre jüngeren preußischen Historiker, Diplomaten und Diaristen Karl August Varnhagen von Ense, der sich als Offizier im Befreiungskrieg gegen Napoléon Meriten erwerben, Rahel auf seinem Weg nach oben mitnehmen und als ihr Dauer-Propagandist ihren Nachruhm sichern wird.
    Rahel Varnhagen von Ense, wie sie jetzt zu ihrer großen Erleichterung heißt – davor hatte sie den Familiennamen Robert angenommen –, wird aus Berlin heraus- und überhaupt herumgeschleudert.
    Oh! Arme Erde! Wie unsicher geht es uns auf dir. Wir kommen ohne Einwilligung; gehen, ohne zu wissen, wann! und werden in der Zwischenzeit hin und her geschickt. Von Metternichs, Hardenbergs, Wellingtons; Königen, Armut, Irrtümern, falschen Hoffnungen und Plänen, und alle den maskierten Strebungen, die man ungefähr nennt!
    1819 wieder zurück in Berlin, eröffnet Rahel in der Mauerstraße ihren zweiten Salon, in dem alsbald neben den Mendelssohns auch Ludwig Börne und Heinrich Heine verkehren, um ihren Esprit an dem der Hausherrin zu wetzen; wie man vermuten darf, unter beträchtlichem Funkenflug. Auch der Fürst von Pückler-Muskau tritt auf, der schon weitgereist war und die Gärten Englands inspiziert hatte; fünf Jahre zuvor hatte er sogar einen Aufstieg mit dem Freiballon erprobt.
    Ein solcher in die Höhen aufsteigender Freiballon war Rahel Varnhagen immer verwehrt. Worin sie wenigstens einen, wenn auch makabren Vorteil sah. Seit ein paar Tagen habe der Gedanke des
Sterbens
für sie durch einen neuen Einfall etwas Unterhaltendes gewonnen. Es sei ihr nämlich ganz klargeworden, «daß wir doch plötzlich aus diesem Lebensverhältnis mit all seinen
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