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Herzhämmern

Titel: Herzhämmern
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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nicht daran gewöhnt, sie so lange zu tragen.
    Mit einem heißen Schreck fällt mir ein, dass sich heute in vielen Stunden und bei vielen Gelegenheiten eine Linse hätte verschieben können - was hätte ich dann gemacht? Ich wäre reif gewesen für den Sanitäter wie Bonni! Denn eine Linse oben im Augapfel schmerzt so unerträglich, dass beide Augen tränen und zu nichts mehr zu gebrauchen sind. Ich wäre praktisch blind!
    Was hab ich für ein Glück gehabt.
    Es ist Zeit für ein Stoßgebet. Sonst bin ich nie fromm, aber jetzt kommt es mir plötzlich vor, als würde mich jemand freundlich beobachten. Falls es einen Gott gibt, will er vielleicht nicht, dass es mir ergeht wie meinem Vater. Er könnte mir ja einen kleinen Lichtpfeil schicken, der mir die Richtung zeigt …
    Da Lichtpfeile unter seiner Würde sind, bleibt mir nichts anderes übrig, als meinen Verstand und die Lampe zu benützen. Ich finde die schräge Wand mit den wellenförmigen Ablagerungen wieder, die Ecke bäuchlings heruntergerutscht kam, wobei seine Lampe zerschellte. Ich entdecke auch den Spalt, durch den er hochgeklettert war, der mir also nichts nützt. Nach sorgfältigem Ausleuchten gibt es nur einen weiteren Schlupf in dieser Höhle. Aus ihm müssen wir gekommen sein. Ich mache mich auf den Weg.
    Endlose Gänge mit Verzweigungen. Vom Silberpapier ist nichts mehr übrig. Aber ich habe noch das äußere Verpackungspapier. Und zur Not Shelleys schmutziges Taschentuch. Ich hoffe, dass ich das Taschentuch nicht verwenden muss, ich will es behalten.
    Der Gang ist so fremd, dass ich mir nicht vorstellen kann, hier schon einmal gewesen zu sein. Alles in mir zieht sich wieder einmal vor Angst zusammen - bis ich eine Engstelle auf dem Rücken passieren muss und die seltsamen kurzen Tropfsteine erkenne, die aus der niedrigen Decke nach unten wachsen wie Nägel. Wie ein Krokodilsrachen, hat Bonni gesagt, als er sich hindurchwand. Danke für das Nagelbrett, Gott. Kann auch ein Krokodilsrachen sein .
    Ich weiß nicht, wie lange ich schon unterwegs bin, mein Zeitgefühl ist draußen geblieben. Aber noch brennt meine Lampe und mein Körper macht auch mit. Ich komme an ein Wasserloch, das mich an die Stelle erinnert, wo ich mir das Knie aufgeschlagen habe; ich wate mittendurch, jetzt kommt es auf nasse Füße nicht mehr an. Ich habe Lehmstiefel bis über die Knie und meine Füße saugen sich bei jedem Schritt fest. Auch in der geräumigen Höhle, die ich jetzt betrete. Ich sehe mich um und entdecke den erstarrten Wasserfall - dann muss dort das Fenster sein, durch das wir eingestiegen sind, oder ist es das Loch da drüben? Verunsichert laufe ich von einer Öffnung zur anderen. Mein Herzklopfen kommt eindeutig von der Aufregung, denn jetzt ist ein Ende abzusehen … Ich entscheide mich für das leichter zugängliche Loch und hänge mir die Lampe auf den Rücken, um die Hände zum Klettern frei zu haben. Das Licht hüpft und die Schatten sind in Bewegung, ich muss mir den Aufstieg mehr oder weniger ertasten. Oben setze ich mich an den Rand und schaue mir die Höhle an - wo haben Bonni und Ecke gestanden, als ich hier angekommen bin?
    Ich sitze im falschen Gang.
    Vorsichtig steige ich wieder ab und betrachte mit Unbehagen die andere Öffnung. Hier hat mir Bonni am Morgen geholfen und herunterzukommen war sowieso leichter; ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass sich bereits an dieser Stelle einer den Knöchel hätte brechen können und dass uns dann eine Menge erspart geblieben wäre …
    Klimmzüge waren noch nie meine Stärke. Ich könnte heulen vor Wut. So kurz vor dem Ziel! Ich schleppe Steine an, ich schwitze, schnaufe und verkeile Brocken ineinander, die ich eben noch tragen kann. Endlich habe ich einen besteigbaren Geröllhaufen geschaffen. Ich klettere ihn äußerst vorsichtig hoch. Dann bin ich mit den Ellenbogen im Loch. Ziehen und einstemmen, mit den Knien arbeiten, auf die Lampe aufpassen - ich schaffe es.
    Ein Blick zurück, den Triumph gönne ich mir, danach krieche ich in den Gang. Die Lampe baumelt unter mir und wirft die sonderbarsten Schatten. Der Gang gabelt sich. Soll ich noch markieren oder lohnt es sich nicht mehr? Ich verzichte darauf, es sind ja nur zwei Möglichkeiten. Alle meine Muskeln schmerzen, sogar die Pomuskeln. War der Gang wirklich so lang? Plötzlich befällt mich der Gedanke, dass ich garantiert am letzten Stück scheitern werde, und genau da fasse ich mit der Hand in eine weiche, schmierige Masse und schreie auf, mein Helm
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