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Herz in Not

Titel: Herz in Not
Autoren: Mary Brendan
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brünette Sally eilte mit einem verlegenen Kopfnicken davon. Ihr Gesicht war rot verweint.
    Einen Moment lang schloss Victoria verärgert die Augen. Eine dieser
    skandalösen Dienstboten-Affären konnte sie im Moment nicht verkraften. Als Samuel sich ebenfalls mit einem „Sofort, Madam“ entfernen wollte, hielt Victoria ihn zurück. „Samuel ... können Sie und Sally -vermutlich ist auch Beryl beteiligt -, können Sie nicht wenigstens an einem Tag wie diesem Ihren Streit vergessen?“ fragte sie mit zitternder Stimme.
    „’schuldigung, Ma’am!“ murmelte der Diener sichtlich betreten, strich sich verlegen über die Weste und schritt gemessenen Schrittes davon.
    Victoria sah ihm einen Moment lang nach. Dann drehte sie sich um, und während sie langsam zurückging, überlegte sie, welche Trauergäste bei dem unfreundlichen Wetter wohl über Nacht blieben. Eigentlich fühlte sie sich erschöpft, verlangte nach Ruhe und nicht nach Gesellschaft. Aber für die Gäste zu sorgen betrachtete sie als ihre Pflicht, die sie so selbstverständlich annahm, wie sie seit Daniels Krankheit auch alle anderen Angelegenheiten auf ihre schmalen Schultern genommen hatte.
    Dem aufgeregten Herzklopfen, das sie befiel, als sie wieder in die Empfangshalle trat und David Hardinge sah, wollte sie nun keine Bedeutung mehr schenken. Er stand in der Nähe des Eingangsportals und verabschiedete sich mit einem herzlichen Händeschütteln von Sir Peter. Erleichtert stellte Victoria fest, dass Samuel dem Viscount bereits den Mantel gebracht hatte. An Samuels Seite bemerkte sie zwar die hübsche Beryl, aber die beiden schienen im Moment ganz darauf konzentriert, den Gästen ihre Mäntel und Handschuhe zu reichen.
    „Nochmals herzlichen Dank, dass Sie Daniel die letzte Ehre erwiesen haben. Ich hoffe, das Wetter gestattet Ihnen eine sichere Heimfahrt.“
    Daniel nickte höflich. Ihre Worte erschienen ihm so reserviert wie ihr Äußeres. „Eine Ihrer Dienstboten scheint ein wenig bekümmert“, sagte er, ohne sie dabei anzusehen.
    Victoria spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Beryl und Samuel hatten also ihren Streit nicht einmal für die kurze Zeit bis zu David Hardinges Abreise beilegen können.
    Jetzt sah er Victoria forschend an. „Sie scheinen bereits Kenntnis davon zu haben ... ?“
    Victoria hörte den besorgten Unterton. Mitleid war das Letzte, was sie zur Zeit ertragen konnte. Ja, ich weiß Bescheid“, murmelte sie und wäre am liebsten im Erdboden versunken. „Es ist für alle eine schwierige Zeit“, erklärte sie stolz. „Mein Mann war beliebt und wurde von den Dienstboten respektiert... von allen, die ihn kannten.“ Stille ... nur das
    Rascheln der Röcke von Beryl, die sich eilig entfernte, war zu hören.
    „Ich glaube, ich bin noch gar nicht dazu gekommen, Ihnen zu Ihrem Verlust zu kondolieren, Mrs. Hart“, sagte David schließlich. „War er ein guter Ehemann?“
    Dieses Mal wich Victoria seinem fragenden Blick nicht aus. „Es gab gewiss keinen Besseren“, erwiderte sie leise, und es tat weh, dass ihn ihre aufrichtige Antwort irgendwie zu amüsieren schien.
    Daniel reichte ihr zum Abschied seine Hand, die sie nur flüchtig berührte. Er verzog den Mund zu einem höhnischen Lächeln. Dann verspürte Victoria einen eisigen Luftzug, ein paar Schneeflocken wirbelten in die Halle und schmolzen auf dem Marmorboden.
    Die Sonne verschwindet immer noch früh hinter den Wolken, stellte Victoria verdrießlich fest, als sie aus dem Fenster der kleinen Bibliothek schaute. Sie schloss die Mappe mit den Haushaltsausgaben und legte die Feder auf den Halter zurück. Mochte sie die einzelnen Posten auch noch so oft zusammenzählen, es änderte nichts: Die Bilanz blieb immer gleich schlecht. Es muss eben noch mehr gespart werden, dachte Victoria, die seit Daniels Krankheit an sparsames Wirtschaften gewöhnt war.
    Bis zu ihrer Eheschließung hatte sie weder Erfahrung in Haushaltsführung, noch darin, wie man Dienstboten einstellte oder Löhne zahlte. Genügsamkeit und Verzicht kannte sie jedoch von klein auf. Ihr Vater war ihr gegenüber nie besonders großzügig gewesen - weder mit seinem Geld noch mit seiner Zeit oder gar mit seiner Liebe.
    Aus der Tasche ihres schlichten Kleides zog Victoria ein Medaillon und legte es vor sich auf den Federhalter. Sacht fuhr sie mit dem Finger über die Gravur auf der goldenen Oberfläche, dann öffnete sie das Schmuckstück vorsichtig und betrachtete die Miniaturporträts ihrer Eltern. Das Bild
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