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Herz in Not

Titel: Herz in Not
Autoren: Mary Brendan
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war kurz nach der Hochzeit - vor fast achtundzwanzig Jahren - entstanden. Der Vater, damals bereits in den Vierzigern, war groß und attraktiv, mit strahlenden Augen und schwarzen Haaren. Die Mutter, die mehr als zwanzig Jahre jünger als ihr Mann gewesen war, schaute ernst aus. Das fein geschnittene, schmale Gesicht mit dem elfenbeinfarbenen Teint wurde von einer üppigen rotbraunen Lockenpracht umrahmt.
    Immer wenn Victoria das Bildnis dieser wunderschönen Frau betrachtete, verstand sie, warum der Vater so sehr um seine Frau trauerte. Und sie verstand auch, weshalb sie so einsam aufgewachsen war - mehr wie eine ungewollte Last als wie ein geliebtes Kind. Nie hatte der Vater
    seiner Tochter verziehen, dass seine Frau bei Victorias Geburt gestorben war.
    Tante Matilda, die versucht hatte, ihrer Nichte so gut wie möglich die Mutter zu ersetzen, hatte ihren Bruder oftmals wegen seiner Kälte gegenüber seinem einzigen Kind gerügt. Victoria hatte immer die Courage ihrer Tante bewundert, die als mittellose Witwe ganz auf die Barmherzigkeit ihres Bruders angewiesen war.
    Matilda Sweetings Leben war nie leicht gewesen. Ihr Ehemann, ein Schwindler, der sich als Marineoffizier ausgegeben hatte, hatte erst sein eigenes und dann auch ihr Vermögen durchgebracht. Zwei Jahre nach der Geburt des Sohnes war sie Witwe geworden. Dennoch hatte sich Matilda immer ihren Stolz und ihren gesunden Menschenverstand bewahrt. Auch als Justin, ihr einziger Sohn, mit sechzehn Jahren verschwunden war, schaffte sie es, mit dem Unglück fertig zu werden. Eine Presspatrouille schien den Sohn zur Marine gezwungen zu haben, anders ließ sich sein Verschwinden vor mehr als elf Jahren in der Nähe des Londoner Hafenviertels nicht erklären. Matilda sprach selten von ihrem Sohn, und wenn, dann so, als sei er nur zu beschäftigt und zu erfolgreich, um sich bei ihr zu melden.
    Victoria konzentrierte sich wieder auf die jugendlichen Gesichter ihrer Eltern. In den vergangenen fünfundzwanzig Jahren hatten die Lorrimers viel Kummer ertragen müssen. Und die Zeit der Kümmernisse ist noch längst nicht vorbei, überlegte Victoria, der derzeit die fortschreitende Demenz ihres Vaters die größte Sorge machte.
    Als ein warmer goldener Sonnenstrahl auf ihre Hände fiel, stand sie auf und trat ans Fenster. Es war bereits Ende März, und der Winter führte immer noch ein hartes Regiment. Die Vorboten des Frühlings, bunte Krokusse und Schneeglöckchen, entlockten Victoria ein wehmütiges Lächeln. Die wässerige Sonne verkroch sich bereits wieder hinter den Wolken, als sie beschloss, ihren gewohnten Nachmittagsspaziergang zum Grab ihres Mannes zu machen.
    „Ich hoffte, Sie hier zu finden.“
    Victoria, die vor dem Grab hockte, fuhr erschrocken herum. Wenige Schritte entfernt, auf dem Kiesweg, stand ein Besucher.
    Forsch trat er auf sie zu und bot ihr seine kräftige Hand. „Es tut mir Leid, Mrs. Hart. Ich wollte Sie nicht erschrecken“, entschuldigte er sich. „Samuel sagte, dass man Sie nachmittags meistens hier finden könne. Ich ... ich müsste mit Ihnen sprechen ...“ Er schaute auf den Grabhügel
    mit der hübschen Bepflanzung aus Frühlingsblumen. „Entschuldigen Sie, dass ich Sie hier störe ... aber ich ... ich fürchte, es ist wichtig ...“
    Victoria schüttelte Erde von ihrem Handschuh ab. „Sie müssen sich nicht entschuldigen, Mr. Beresford. Ich wollte sowieso gerade zurückgehen. Bleiben Sie zum Abendessen?“ lud sie den Anwalt ihres verstorbenen Mannes ein.
    Alexander Beresford lehnte das freundliche Angebot dankend ab. Sein Besuch überraschte Victoria. Normalerweise machte er alle sechs Wochen die Reise von St. Albans nach Ashdowne, um sie über Daniels Investitionen und ihre augenblickliche finanzielle Lage zu beraten. Das letzte Treffen hatte vor knapp zwei Wochen stattgefunden. Der freundliche, untersetzte Mann von ungefähr fünfunddreißig Jahren war ihr mit seiner tüchtigen Art in den Wochen nach Daniels Tod eine große Hilfe gewesen. Geduldig hatte er ihr genau erklärt, welche Vorsorge Daniel für sie getroffen hatte und dass bei sparsamem Wirtschaften die wenigen Mittel ausreichen würden, weiter ein bescheidenes Leben auf Hartfield zu führen.
    Sie bemerkte seine Nervosität. Die Nachmittagsluft war kühl, und dennoch stand ihm der Schweiß auf der Stirn. „Ist etwas nicht in Ordnung, Mr. Beresford?“
    Der Anwalt räusperte sich, vergrub die Hände tief in seinen Manteltaschen und schaute nachdenklich in die Feme. Dies war
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