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Herz in Gefahr

Herz in Gefahr

Titel: Herz in Gefahr
Autoren: Meg Alexander
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glaub’n.”
    Der Priester sagte nichts. Er ging nie hinaus ohne sein Messer, eine lange, schmale Klinge von bemerkenswerter Schärfe. Als Kind schon hatte er gelernt, auf sich aufzupassen. Er verzog die Lippen zu einem unangenehmen Lächeln. Er war jedem Rüpel mehr als nur gewachsen.
    Heiße Wut drohte ihm die Kehle zuzuschnüren. Unglaubliches Pech hatte seine Pläne aufgedeckt. Die
Gazette
, in der seine Verlobungsanzeige veröffentlicht worden war, hatte nur unter den unwahrscheinlichsten Umständen in die Hände seiner Mutter gelangen können. Und auch in jenem Fall konnte sie nicht lesen. Er hatte sich sicher gefühlt. Doch ein grausamer Streich des Schicksals hatte ihr jemanden an die Hand gegeben, der klüger war als sie.
    Er sah sich um und war nicht überrascht zu sehen, dass er in die Gegend von St. Giles geführt wurde. Er kannte jenen Ort gut, aber er hatte nicht geglaubt, dass er ihn jemals wieder betreten würde. Zu sehr in Gedanken mit der kaum verhüllten Drohung beschäftigt, die in der Nachricht enthalten war, bemerkte er nicht, dass er verfolgt wurde. Doch trotz allem zog er seinen Umhang enger um sich und verbarg das Kinn tief in den Falten des Kragens. Dann sah er sich noch einmal kurz um, bevor er das Labyrinth der kleinen berüchtigten Gässchen betrat, die ganz London als die “Rookery” kannte.
    Hinter ihm machte Dan sich bereit, ihm zu folgen, aber der Weg wurde ihm von einem vierschrötigen Mann versperrt, der einen Schlapphut und eine grobe Joppe mit ausgefransten Ellbogen trug.
    “Nicht da hinein, Sir, wenn Sie so freundlich sind. Sie würden nicht lebendig wieder herauskommen.”
    Dan starrte den Mann an. Es war ein wenig einnehmender Mensch mit gebrochener Nase und übel zugerichteten Ohren, die seine frühere Karriere als Boxer verrieten. Als er jetzt auch noch lächelte, bestätigte die große Zahnlücke Dans Vermutung.
    “Aus dem Weg, Mann!”, rief Dan ungeduldig. Die Gestalt des Reverend war bereits außer Sicht.
    “Na, na, Sir, Sie wollen doch nicht, dass ich Ihnen eine verpasse. Was ich aber tun muss, wenn Sie die Absicht haben, unvernünftig zu sein. Ich habe meine Order von Seiner Lordschaft …”
    “Wer sind Sie?”
    “Ein Beamter der Ordnung, Sir.”
    “Sie meinen, Sie sind ein Bow Street Runner?”
    Der Mann verdrehte die Augen gen Himmel und zerrte Dan in eine Toröffnung. “Nicht so laut!”, bat er. “Man wird mir wegen Ihnen noch die Kehle aufschlitzen.”
    “Ich gehe mit Ihnen.”
    “Nein, junger Mann. Sie werden mich nur aufhalten. Das hier ist kein Ort für Sie. Nun seien Sie ein guter Gentleman und überlassen mir alles.” Sein Ton war respektvoll, aber sehr fest.
    Dan dachte einen Augenblick daran, sich an ihm vorbeizuschieben, aber der Runner war auf der Hut. “Wir verlieren Zeit”, sagte er bedeutungsvoll.
    “Dann warte ich auf Sie.”
    “Am besten gehen Sie zurück in die Mount Street, Sir. Das hier kann noch eine ganze Weile dauern.” Er drehte sich schnell um und verschwand in einer Gasse.
    Enttäuscht und verwirrt ging Dan den Weg zurück, den er gekommen war. Zum Teufel mit Sebastian! Warum musste er ihm immer einen Schritt voraus sein? Dann nahm er Vernunft an. Wenigstens hatte Seine Lordschaft keine Zeit verloren, die nötigen Nachforschungen anzustrengen. Der Runner schien recht kompetent zu sein. Sein raues Aussehen würde in dieser Nachbarschaft kein Misstrauen erwecken.
    Dan war unbewaffnet, da ihm nicht in den Sinn gekommen war, er könnte eine Waffe brauchen. Jetzt, im Nachhinein, wurde ihm klar, dass der Runner recht gehabt hatte, ihn aufzuhalten.
    In der Zwischenzeit war Reverend Truscott in der Höhle des Löwen angekommen. Als Kind war er an den Anblick der verfallenen Hütten, der riesigen Haufen verfaulenden Unrats in den Straßen und an den alles durchdringenden Gestank gewöhnt gewesen. Doch nun war er empfindlich geworden, und der Geruch, der seine Nüstern füllte, verursachte ihm Übelkeit. Sein Führer stieß eine Tür auf, die in ihren morschen Angeln knirschte, und deutete ihm an, hineinzugehen.
    “Da oben!” Der Junge wies mit dem Daumen auf eine steile Treppe und verschwand.
    Der Priester spürte, wie sein Magen sich voller Ekel zusammenzog. Er war versucht, sich auf dem Absatz umzudrehen und zu fliehen, aber er wagte es nicht, alles zu riskieren, was er sich so mühsam hatte erkämpfen müssen.
    Er setzte eine sanfte, wohlwollende Miene auf, erklomm die Stufen und klopfte an die einzige Tür im ersten Stock.
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