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Herz des Winters (German Edition)

Herz des Winters (German Edition)

Titel: Herz des Winters (German Edition)
Autoren: Madeleine Puljic
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zweifelte Daena keine Sekunde lang, dass sie dort sein würden. Ebenso wie sie wusste, was sie in dem zugewucherten Teil am anderen Ende des Tales erwartete.
    „Was heißt „oh“?“ Berekh wackelte so lange in ihrem Beutel herum, bis er eine glühende Augenhöhle an das dafür vorgesehene Guckloch legen konnte. „Oh,“ entfuhr es nun auch ihm. „Hey, hör mal … Das mit den angebissenen Äpfeln tut mir leid. Und dass du ein unfähiger Trampel bist, habe ich doch nicht so gemeint …“ Ein leichter Hauch von Panik schlich sich bei ihm ein, als Daena ihren Weg langsam fortsetzte. „Komm schon, bring mich nicht zurück. Ich werde mich bessern, versprochen!“
    „Keine Angst, ich lasse dich nicht hier“, erwiderte sie mit einem leisen Grinsen. „Aber bessern könntest du dich trotzdem.“
    „Und was willst du dann hier?“, fragte Berekh in säuerlichem Ton, während er argwöhnisch die Gitterstäbe beobachtete, an denen er vorbeigetragen wurde.
    „Ich weiß es nicht genau.“ Mittlerweile hatte sie die Stelle gefunden, an der eine gefallene Birke ein Zaunstück weit genug gekippt hatte, um einen engen Durchlass zu schaffen. „Aber irgendetwas ist hier. Du hast doch auch gesagt, dass du etwas spürst.“
    Berekh schnaubte. „Hier liegt der Rest meiner Leiche, sicher spüre ich da etwas. Aber bestimmt nicht das gleiche wie du.“
    „Ich spüre nichts, es ist mehr … wie ein Gedanke, den ich noch nicht ganz fassen kann.“
    „Und dazu müssen wir unbedingt dort hin? Großartig. Weck mich, wenn du fertig bist mit dem Denken.“ Damit verkroch er sich wieder in die Untiefen von Daenas Tasche.
    Daena rollte mit den Augen, enthielt sich aber jedwedes weiteren Kommentars. Nicht nur, weil sie aus Erfahrung wusste, wie zwecklos eine Diskussion mit dem sturen Schädel war. Sie hatte auch selbst keine plausiblen oder logischen Argumente für ihren Drang, die Krypta zu betreten. Seit der Nacht, in der sie Berekh dort gefunden hatte, hatte sie diesen Ort gemieden – und das nicht allein aus Rücksicht auf ihren knochigen Kameraden.
    Etwas Unheimliches umgab die Grabstätte. Sie fühlte es auch jetzt wieder, während sie sich dem überwucherten Bereich näherte. Eine Furcht kroch durch ihre Adern, zu allumfassend, als dass es ihre eigene sein konnte, doch zugleich zog es sie fast schmerzhaft weiter. Es krallte sich in ihre Glieder, übermächtig, zerreißend. Magisch.
    Der Gedanke klang lächerlich, dabei war es doch gar nicht so abwegig. Immerhin behauptete Berekh, einmal über große Magie verfügt zu haben, und auch wenn er jetzt nicht einmal aus eigener Kraft vom Fleck kam, war er zumindest der einzige sozusagen lebendige Totenschädel, der ihr jemals begegnet war. Sie musste zugeben, dass sein jetziges Dasein nicht gerade natürlich war.
    Als sie damals begonnen hatte, eine Stimme aus ihrer Tasche zu hören, war sie überzeugt gewesen, den Verstand verloren zu haben. Oder sich dank der falschen Beeren oder Pilze eine Vergiftung zugezogen zu haben, was ihr leider mehr als einmal passiert war. Auf der Akademie wurde den Schülern das Kämpfen beigebracht, nicht, welche wäldlichen Nahrungsmittel genießbar waren. Am Ende zahlreicher Tagesreisen hatte der Hunger seine harten Klauen nach ihr ausgestreckt.
    Und eine dieser Reisen hatte sie in jene Krypta geführt, die jetzt vor ihr lag und die von den sie umgebenden Bäumen fast erdrückt zu werden schien. Hunger und Kälte konnten jemanden genug verzweifeln lassen, um Trost bei den Toten zu suchen.
    Seit jener Nacht waren Büsche und Unkraut weiter vorgedrungen. Es war ein kleiner Kampf, zu dem marmornen Gemäuer durchzukommen. Sobald sie jedoch im Inneren des Grabmals stand, schien es, als wäre die Zeit zurückgedreht worden.
    Das hereingewehte, verwelkte Laub und der Staub auf dem Boden waren mehr geworden, aber die demolierten Grabplatten und geplünderten Nischen, die einmal Kandelaber enthalten haben mussten, waren unverändert. Daena konnte sogar die Spuren unter der neuen Staubschicht erkennen, die sie bei ihrem ersten Besuch hinterlassen hatte. Der Platz, an dem sie sich zusammengekauert hatte, um Nacht und Gewitter zu entkommen. Und die Stelle, an der Berekh – beziehungsweise der leblose Schädel – auf dem Boden gelegen hatte. Wahrscheinlich war es besser, wenn er den desolaten Zustand seiner vormals letzten Ruhestätte nicht sehen musste.
    Auch ihr selbst drängten sich die Erinnerungen unangenehm auf – an die Stunden, in denen sie ins Dunkel
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