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Herrin der Falken - 3

Herrin der Falken - 3

Titel: Herrin der Falken - 3
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Grund, der dir stichhaltig erscheint, die Treue brichst, kannst du es ihm hinterher
wenigstens erklären. Aber wenn du einer stummen Kreatur die
Treue brichst, hast du sie auf unverzeihliche Weise verletzt, weil du es ihr niemals begreiflich machen kannst. Nie in ihrem Leben hatte Romilly ihren Vater von Treue und Glauben in Zusammenhang mit einer Religion sprechen hören, nie hatte er – außer in einem Fluch – einen Gott genannt. Doch bei diesen Worten hatte sie einen Blick in die Tiefe seines Glaubens und sein Inneres getan. Sie war ihm ungehorsam, ja. Doch in einem tieferen Sinn tat sie, was er sie als recht gelehrt hatte. Deshalb würde er, selbst wenn er sie dafür schlagen sollte, eines Tages erkennen, daß ihre Tat sowohl richtig als auch notwen
dig gewesen war.
Romilly trank noch einen Schluck Wasser. Sie konnte den
Hunger ertragen, wenn es sein mußte, die eigentliche Folter
war der Durst. Davin hielt bei der Arbeit mit einem Falken für
gewöhnlich einen Wassereimer in Reichweite. Romilly hatte
vergessen, Eimer und Schöpfkelle bereitzuhalten. Leise
schlüpfte sie aus dem Zimmer. Mit etwas Glück würde der
Falke vor Sonnenaufgang »brechen« – würde vom Handschuh
kröpfen und dann schlafen. Diese Unterbrechung mochte Ursache sein, daß sie den Falken verloren – wenn er nicht bald
kröpfte, mußte er sterben –, aber sie, der er das Verbleiben in
der Gefangenschaft verdankte, war es dann nicht, die ihm die
Treue gebrochen und ihn dem Tod überlassen hatte.
Romilly war bereits vor der Tür, als sie noch einmal umkehrte
und Stahl und Feuerstein holte. Sicher hatte ihr Vater oder der
Junge des Falkenmeisters die Laterne gelöscht, und sie würde
sie wieder anzünden müssen. Im Nebenzimmer hinter den
Glastüren regte Gwennis sich und gähnte. Romilly erstarrte.
Aber die Kinderfrau beugte sich nur zu Mallina nieder, fühlte
ihre Stirn und prüfte, ob das Fieber nachgelassen habe. Seufzend setzte sie sich wieder in ihrem Sessel zurecht, ohne einen
Blick in Romillys Richtung zu werfen.
Auf lautlosen Sohlen kroch Romilly die Treppe hinunter.
Sogar die Hunde schliefen. Zwei der großen graubraunen
Wachhunde lagen quer vor der Tür. Sie waren nicht bissig und
würden nicht einmal einen Eindringling beißen oder angreifen,
falls er sie nicht bedrohte. Aber einen Lärm konnten sie veranstalten! Ihr freundliches, lautes Bellen diente dem Zweck, den
Haushalt aufmerksam zu machen, daß jemand kam, ob Eindringling oder Freund. Romilly kannte jedoch beide Hunde, seit sie geworfen worden waren. Sie hatte ihnen die ersten festen Bissen gegeben, als sie nicht mehr bei der Mutter saugten. Nun schob sie sie ein bißchen von der Tür weg. Die Hunde, die eine vertraute und geliebte Hand fühlten, schnauften nur ein bißchen im Schlaf und ließen sie vorbei. Das Licht im Falkenhaus war tatsächlich gelöscht worden. Als Romilly über die Schwelle trat, fiel ihr eine alte Ballade ein, die sie als Kind von ihrer eigenen Mutter gehört hatte. Es hieß darin, des Nachts, wenn kein menschliches Wesen in der Nähe sei, sprächen die Vögel miteinander. Unwillkürlich ging Romilly auf Zehenspitzen und rechnete beinahe damit, sie zu belauschen. Aber die zahmen Vögel im Falkenhaus waren nichts als Federkugeln auf den Blöcken und schliefen fest, und sie nahm nur eine verworrene Stille wahr. Ob sie unter sich telepathisch sind, ob sie die Furcht oder den Schmerz eines anderen Vogels empfangen? fragte sie sich. Nicht einmal die Leronis hatte ihr das sagen können. Jetzt vermutete sie, daß die meisten, wenn nicht alle dieser Vögel kopfblind waren, ohne telepathischen Sinn oder Laran. Andernfalls würden sie erwachen und unruhig werden. Denn Romilly selbst empfing immer noch die Wellen von Angst und Wut, von Hunger und Raserei, die von dem großen Verrin
Falken ausgingen.
Romilly zündete mit bebenden Händen die Lampe an. Vater
hatte also nie geglaubt, der Falke werde die Atzung vom Block
nehmen; er wußte ja, daß kein Falke im Dunkeln kröpft. Wie
hatte er das tun können? Auch wenn er auf sie, Romilly, böse
war, brauchte er den Falken doch nicht um seine letzte Lebenschance zu bringen!
Nun mußte sie wieder ganz von vorn anfangen. Sie sah das tote
Fleisch auf dem Block liegen, unangerührt, ohne eine Schnabelspur. Der Falke hatte nicht gekröpft. Das Fleisch begann,
ranzig zu riechen. Romilly hob es hoch und mußte ihren
eigenen Ekel überwinden – puh, wenn ich ein Falke wäre,
würde ich dies Aas auch nicht anrühren
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