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Herren der Tiefe

Herren der Tiefe

Titel: Herren der Tiefe
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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drinnen bleiben, das wußte er, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, tatsächlich den Verstand zu verlieren.
Auch sein Zeitgefühl verließ ihn. Seine Logik behauptete, daß
sie erst wenige Augenblicke hier drinnen sein konnten, allerhöchstens ein paar Minuten, aber ihm kam es vor, als wären
Stunden vergangen, als sie endlich das Ende des Korridores
erreichten. Vor ihnen lag eine mächtige Tür aus schwarzem
Stein, in die bizarre Bilder und Muster eingraviert waren, deren
Anblick Mike schwindeln ließ. Das größte Problem aber war,
daß sich der Gang vor dieser Tür gabelte und sowohl auf der
rechten als auch auf der linken Seite nach wenigen Schritten vor
einer weiteren, ebenso mächtigen Tür endete. Und Mike wagte
es nicht, auf gut Glück loszugehen – wenn sie sich hier drinnen
verirrten, würden sie nie wieder herausfinden.
»Kannst du sie spüren?« fragte er.
Astaroth sah sich unsicher nach beiden Seiten um, machte
einen Schritt nach rechts, dann nach links und kehrte schließlich wieder zu Mike zurück. Dort. Er wies mit einer Kopfbewegung auf die erste Tür. Er ist dort. Das Mädchen auch.
Mike überwand seine Furcht, trat dicht an das Portal
heran
und legte die Hand auf den schwarzen Stein. Er war darauf gefaßt, mit aller Gewalt drücken zu müssen, denn jeder der beiden
gewaltigen Torflügel mußte Tonnen wiegen, aber er hatte sie
kaum berührt, da schwangen sie vollkommen lautlos und wie
von Geisterhand bewegt zur Seite.
Dahinter lag eine riesige, finstere Halle, die groß genug schien,
Denholms gesamte Stadt aufzunehmen. Sie war vollkommen leer.
Die Wände waren schwarz und glatt, schienen aber trotzdem auf
unheimliche Weise zu leben; es war, als bewegten sie sich. Genau in der Mitte des Saales befand sich ein runder, bestimmt
dreißig Meter durchmessender Schacht, aus dessen Tiefe ein
unheimliches, blaßgrünes Leuchten heraufdrang. Und auf der
anderen Seite dieses Schachtes, dicht an seinem Rand, befanden
sich André und das Mädchen.
»André!« Mike rannte mit einem gellenden Schrei los.
André hob mühsam den Kopf und sah ihm entgegen. Er saß auf
dem Boden und hatte Sarahs Kopf in seinen Schoß gebettet.
Das Mädchen wies keine äußerlichen Verletzungen auf, aber es
schien besinnungslos zu sein.
Andres linke Hand strich immer wieder über ihre
Stirn,
ohne daß er sich der Bewegung selbst bewußt zu sein schien.
»André! Was ist passiert?« Mike langte schweratmend
bei
dem Jungen an, fiel vor ihm auf die Knie und berührte ihn an
den Schultern. »Bist du verletzt?«
André schüttelte schwach den Kopf. Sein Gesicht war kreidebleich, und seine Stimme so dünn und ausdruckslos, daß Mike
Mühe hatte, die Worte überhaupt zu verstehen, als er antwortete.
»Nein. Er hat mir nichts getan. Aber Sarah. Er hat sie berührt,
und… und seitdem ist sie so.«
»Er?« Mike sah André fragend an, dann beugte er sich zu Sarah hinab. Das Mädchen war am Leben, aber noch bleicher als
André, und sein Atem war flach und kaum noch wahrnehmbar.
»Wen meinst du mit er?«
Statt einer Antwort deutete André auf den Schacht, und Mike drehte sich herum und warf einen Blick in die Tiefe. Der
Anblick ließ ihn schwindeln. Er wußte nicht, was Wirklichkeit
und was ein weiteres Trugbild war, aber zumindest im
ersten
Moment glaubte er, in einen Abgrund von mindestens einer
Meile Tiefe zu blicken. Seine Wände schienen zu pulsieren, und
an seinem Grund brodelte ein See aus kochendem Wasser, das
von einem unheimlichen grünen Licht durchdrungen war.
»Ich kann sie nicht wachbekommen«, murmelte André. Seine
Stimme zitterte. »Ich weiß nicht, was er mit ihr gemacht hat.
Sie… sie wacht einfach nicht auf.«
Mike streckte die Hände nach dem Mädchen aus, aber dann
wagte er es doch nicht, es zu berühren. Sarah
lag tatsächlich
wie eine Tote in Andres Schoß, unbeschadet des Umstandes,
daß sie noch atmete. Mike fühlte sich hilflos wie nie zuvor im
Leben. Schließlich wandte er sich an Astaroth.
»Was ist mit ihr?« fragte er. »Kannst du etwas erkennen?«
Der Kater bewegte sich auf das Mädchen zu, sprang nach einem kurzen Zögern auf seine Brust und begann ihr Gesicht abzulecken. Er schnurrte leise, aber es war kein zufriedener Laut,
sondern eher ein Geräusch, das Furcht auszudrücken schien.
Sie lebt, sagte er schließlich. Aber etwas ist mit ihr geschehen.
Sie ist… verändert.
»Verändert?« fragte Mike.
Irgend etwas ist nicht mehr da, antwortete Astaroth. Ich weiß
nicht, was, aber
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