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Herr Palomar

Herr Palomar

Titel: Herr Palomar
Autoren: Italo Calvino
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nur daß die Rundung stets mehr oder weniger sichtbar bleibt. Die Flecken im Rund sind immer noch da, ihr Helldunkel wird sogar noch kontrastreicher gegenüber dem Leuchten der übrigen Fläche, aber jetzt gibt es keinen Zweifel mehr, daß es der Mond ist, der sie wie Beulen oder Pickel auf sich trägt, und man kann sie nicht mehr für Löcher halten, in denen die himmlische Tiefe durchscheint, für Risse im Mantel eines körperlosen Phantoms von Mond. Eher bleibt noch ungewiß, ob dieser Zuwachs an Evidenz und (sagen wir's ruhig) Glanz dem langsamen Rückzug des Himmels zu danken ist, der nun, je ferner er rückt, desto tiefer ins Dunkel versinkt, oder ob es der Mond ist, der näherrückt und dabei das ringsum verstreute Licht einsammelt, um es dem Himmel wegzunehmen und ganz in den runden Schlund seines Trichters einzusaugen. Über all diesen Wandlungen ist jedoch nicht zu vergessen, daß der Trabant inzwischen am Himmel vorgerückt ist, indem er sich weiter nach Westen und weiter nach oben bewegt hat. Der Mond ist der wandelbarste Körper des sichtbaren Universums und der stetigste in seinen komplizierten Gewohnheiten: Nie versäumt er seine Verabredungen, und stets kann man ihn an der nächsten Ecke erwarten, doch läßt man ihn einmal irgendwo stehen, so ist er hinterher stets woanders, und schaute er eben noch in die eine Richtung, hat er im nächsten Augenblick schon die Haltung verändert, ein wenig oder auch sehr. Verfolgt man ihn aber auf Schritt und Tritt, so merkt man gar nicht, daß er sich einem entzieht. Nur die Wolken fahren dazwischen, um ein Trugbild von Lauf und rascher Veränderung zu erzeugen – oder besser gesagt: um sichtbar zu machen, was andernfalls sich dem Blick entzöge.
     Die Wolken ziehen vorüber, wechseln von Grau zu milchigem Weiß, der Himmel dahinter ist schwarz geworden, es ist Nacht, die Sterne blinken, der Mond ist ein großer blendender Spiegel, der fliegt. Wer würde darin den bleichen Schatten von vor wenigen Stunden wiedererkennen? Jetzt ist er ein leuchtender See, der ringsum Strahlen verspritzt, einen kalten silbrigen Hof ins Dunkel ergießt und mit weißem Licht die Wege der Nachtwandler überflutet.
     Es gibt keinen Zweifel mehr: Was da begonnen hat, ist eine herrliche winterlich klare Vollmondnacht. Herr Palomar, der nun sicher ist, daß der Mond ihn nicht länger benötigt, kehrt nach Hause zurück.
     

Das Auge und die Planeten
    Herr Palomar, der erfahren hat, daß heuer den ganzen April über die drei »äußeren« Planeten, die mit bloßem Auge zu sehen sind (auch für ihn, der kurzsichtig und astigmatisch ist), alle drei »in Opposition« stehen, also die ganze Nacht lang gemeinsam zu sehen sind, eilt auf die Dachterrasse. Es ist eine klare Vollmondnacht. Der Mars, obwohl nahe dem großen lichtdurchfluteten Spiegel des Mondes, zieht stolz und herrisch dahin mit seinem beharrlichen Funkeln, in einem hochkonzentrierten und dichten Gelbton, der sich von allen anderen Gelbtönen am Firmament unterscheidet, so daß man ihn schließlich rot zu nennen beschlossen hat und in beseelten Augenblicken auch wirklich rot sieht. Senkt man den Blick in östlicher Richtung auf einer imaginären Bogenlinie, die Regulus mit Spika verbinden müßte (aber Spika ist kaum zu sehen), so trifft man zunächst auf Saturn, der klar hervorsticht mit seinem kühlen weißen Licht, und etwas weiter unten auf Jupiter, der um diese Zeit seinen größten Glanz entfaltet, in einem kräftigen Gelb mit einer Tendenz zu Grün. Die Sterne ringsum verblassen dagegen, nur der Arkturus glänzt trotzig ein Stück weiter oben im Osten.
     Um mehr von der dreifachen planetarischen Opposition zu haben, muß man sich unbedingt ein Teleskop besorgen. Herr Palomar erfreut sich, vielleicht wegen seiner Namensgleichheit mit einem berühmten Observatorium, einiger Freundschafen in Astronomenkreisen und erhält Zugang zu einem 15-Zentimeter-Teleskop, also einem für wissenschaftliche Zwecke eher kleinen Gerät, das aber, verglichen mit seiner Brille, schon einen erheblichen Unterschied macht.
     Der Mars zum Beispiel erweist sich im Teleskop als ein ziemlich unschlüssiger Planet, der längst nicht so forsch und zielsicher auftritt, wie es dem bloßen Auge erscheint: Es ist, als hätte er allerlei mitzuteilen, wovon man immer nur einen kleinen Teil mitbekommt, wie in einer hüstelnden und vernuschelten Rede. Ein rötlicher Schein umflimmert den Rand; man kann versuchen, ihn schärfer zu fassen, indem man die
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