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Herr der Nacht

Herr der Nacht

Titel: Herr der Nacht
Autoren: Tanith Lee
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können – während er dies getan hatte, hatte Haß an der Welt genagt, und die Welt begann zu schrumpfen und zu sterben.
    Der Dämonenprinz hatte dort grenzenlosen Schmerz und Verlust verursacht, Krieg und Leid, Wut und Tod. Die Vazdru, die den Schrei der Menschheit in den glockenartigen Höhlungen ihrer außersinnlichen, inneren Ohren vernahmen: Asrharn zerstört uns! – sahen auf Asrharn, um ihn lächeln zu sehen. Aber Asrharn lächelte niemals. Er schritt durch die Paläste aus Jade und Eisen; er bestieg ein Pferd aus schwarzem Öl und blauem Dampf; er ritt durch die drei Tore. Und als er sich von der Mitte der Erde und ihren Vulkanen entfernte, sah er neue Vulkane, die ihr Feuer der Länge und Breite nach über die Erde spien, und wo sie nicht brannten, brannten an ihrer Stelle die Städte. Und er sah die Pest vorbeiziehen und die Hungersnot und den Tod am Horizont. Und er sah auch die Meere an ungewohnten Orten, wo sie das Land ertränkten, und sah die abgebrochenen Türme aufragen und die aufgedunsenen Leichen vorübertreiben, und wo neues Land aus den Wassern aufgetaucht war, sah er Armeen sich an Land kämpfen und zwischen Tümpeln und Seealgen wieder ihre Schlachten beginnen. Und von oben sandte der blutige Mond unbarmherzig sein Licht, damit er alles sehen möge und ihm nichts entginge.
    Asrharn zügelte sein Dämonenpferd auf einer gezackten Klippenspitze. Er blickte nach Osten und Westen, nach Norden und Süden, und das Gesicht Asrharns war – um die Wahrheit zu sagen – sehr weiß geworden. Er schaute lange, und seine Blässe nahm immer mehr zu. Ein sterblicher Mensch hätte nicht so bleich werden und weiterleben können.
    Eine Erinnerung war Asrharn wiedergekehrt: eine Warnung Kasirs, des blinden Poeten. Wie, als der Beherrscher der Dämonen ihm erzählt hatte, was er alles besaß, und ihn gefragt hatte, ob es irgend etwas gäbe, das er noch brauche, ohne das er nicht auskommen könne, der Poet ihm ruhig geantwortet hatte: »Die Menschen.«
    Und das kalte Lied Kasirs war wieder zu ihm zurückgekehrt, das davon sang, daß alle Menschen gestorben wären und die Erde leer wäre, und die Sonne über der Leere auf- und unterginge. Wie Asrharn in der Gestalt eines Adlers über die lautlosen Städte flog, die Meere ohne Segel, und nach Menschen suchte. Aber nicht einer war übrig, um die Tage des Dämonen mit Freude und Bosheit zu erfüllen, nicht einer war übrig, um den Namen Asrharns zu flüstern.
    Kalte Furcht war damals auf Asrharns Herz gefallen wie Winterschnee. Kalte Furcht überkam ihn jetzt. Selbst der dunkle Stern kann nicht leben ohne den Himmel, der ihn festhält; es gibt keinen Halt im bodenlosen Abgrund.
    Ja, Asrharn, Gebieter der Furcht, fürchtete sich. Er sah den Tod der Menschheit voraus, er sah Haß wie einen schwarzen Mond am Himmel aufgehen und las die Ausrottung der Menschheit darin. Mit solchen Augen, wie den seinen, konnte er die wirkliche Gestalt von Haß erkennen, der gestaltlos war, und er roch seinen Geruch, den Geruch von Säure, die Eisen, die das Leben der Welt frißt. Und Asrharn floh von der Erde, floh in seine unterirdische Stadt, in einen Raum tief in seinem Palast, und dort zitterte er, eingeschlossen und allein, damit niemand Zeuge seiner schrecklichen Furcht werde. Ja, schreckliche Furcht. Asrharn, Beherrscher des Schreckens, hatte schreckliche Angst.
    Schreckliche Angst.
    *
    Ein stummes Entsetzen lag über der Dämonenstadt Druhim Vanaschta. Kein Vazdru spottete oder sang, es ertönte kein Akkord einer Harfe, noch das Klappern von Würfeln oder das Gebell von Jagdhunden. Die Eschva weinten und wußten nicht, warum sie weinten. Am schwarzen See waren die Hämmer der Drin verstummt und die roten Essen erloschen.
    Dann erschien Asrharn mit einem Gesicht wie ein schönes Bildnis aus Stein und brennenden Augen. Er rief die Drin zusammen. Er gab ihnen eine Aufgabe. Sie sollten für ihn ein Schiff mit Flügeln, ein fliegendes Schiff, bauen, das mächtig genug wäre, um den höchsten Himmel zu durchstoßen und in ein Reich einzudringen, in das weder Sterbliche noch Vögel gelangen konnten, das außerordentliche Land der Oberwelt, das Reich der Götter selbst.
    Die Drin arbeiteten mit Furcht in ihren düsteren, kleinen Herzen. Sie nahmen viel Silber und weißes Metall und eine kleine Menge Gold, der Stoff, den die Dämonen nicht lieben, und blauen Stahl und rote Bronze. Und während die Drin arbeiteten, gingen die Vazdru in Asrharns Palast ein und aus und nahmen seine
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