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Herr der Nacht

Herr der Nacht

Titel: Herr der Nacht
Autoren: Tanith Lee
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denn erdgeboren, wie diese Frau gesagt hat?«
    »Du bist. Für dich mag die Sonne vielleicht hübsch aussehen, aber für die Herren der Finsternis ist sie ein Ding von grausiger Häßlichkeit.«
    »Mein Gebieter«, rief Sivesch aus, »laß mich hierbleiben für einen Tag. Laß mich die Sonne sehen. Ich kann nicht ruhen, ehe ich dies getan habe. Und doch«, fügte er hinzu, »wenn du mir befiehlst, mit dir zurückzukehren, so muß ich es tun, denn du bist mir teurer als irgend etwas.«
    Das besänftigte Asrharns Gefühle. Er wollte den jungen Mann nicht bleiben lassen, aber er sah Unbehagen voraus, wenn ihm eine Ansicht der Erde bei Tageslicht verweigert würde.
    »So bleibe denn«, sagte Asrharn, »für einen Tag.« Dann warf er ihm eine kleine Silberpfeife in der Form eines Schlangenkopfes zu und sagte: »Blase darauf in der Abenddämmerung und es wird mich zu dir hinziehen, wo immer du auch bist. Und nun leb wohl.« Dann grub er die Sporen in sein Tier und galoppierte davon, schneller als ein Gedanke, und Siveschs Stute, die beim Hellerwerden des Himmels gestampft und gewiehert hatte, floh ebenfalls davon.
    Sivesch spürte eine plötzliche Furcht bei seinem Zurückgelassensein in der Welt der Menschen, allein auf den Hügeln neben dem Leichnam der Hexe und mit dem schrecklichen, blendenden Glanz der Dämmerung, die den Osten erfüllte. Aber dann begann in ihm ein Glücksgefühl anzuschwellen, das wuchs wie eine Melodie in seinem Herzen. Genauso hatte er gefühlt, als Asrharn in Druhim Vanaschta zum ersten Mal zu ihm gesprochen hatte, nur diesmal konnte er keinen Grund finden außer dem Licht über den Hügeln.
    Zuerst kam Jadegrün, dann Rubinrot, dann eine Scheibe aus Gold, aus der Strahlen schossen wie Flammenpfeile und die ganze Welt in lodernde Helligkeit versetzten. Dann erfüllten solche Farben das Land, wie sie der Sterbliche, der in der Unterwelt gelebt hatte, niemals gesehen hatte, solche Grüns, solche Safrangelbs, solche Rots – sein ganzer Körper schien sich mit ihnen zu erhellen wie die Welt Feuer zu fangen schien von der Sonne. Niemals hatte er in Asrharns mitternächtlichen Hallen oder den schattig glänzenden Straßen der Dämonenstadt eine vergleichbare Pracht gesehen. Er stand da und brach darüber in Tränen aus wie ein verlorenes Kind, das plötzlich nach Hause findet.
    Den ganzen Tag lang wanderte Sivesch in den Tälern und den Abhängen umher, und was er dort tat, weiß niemand. Vielleicht bezauberte er die wilden Füchse, ihm zu folgen, oder die Vögel der Luft, auf seiner Hand zu sitzen; vielleicht hielt er bei der Hütte eines Hirten und fand dort ein hübsches Mädchen, das ihm einen Trunk Milch in einer irdenen Schale brachte, und einen tieferen Trunk, vielleicht, aus jener anderen Schale, mit der die Götter Frauen betraut haben. Was immer er auch tat, als die Sonne wie eine feurige Flut im Meer versank, lag er erschöpft auf dem Hügel und schlief ein und dachte nicht daran, die Pfeife zu blasen, die Asrharn ihm gegeben hatte.
    Alsbald kam Asrharn, wie ein tintenschwarzer Wind über das Land ziehend, und suchte ihn. Sivesch war nicht weit gestreift; der Prinz hatte keine Mühe, ihn zu finden. Asrharn war ärgerlich, doch als er ihn schlafen sah, seine schönen Augen vor Müdigkeit fest geschlossen, ließ er seinen Ärger ruhen und weckte den Jüngling mit einer sanften Berührung. Sivesch richtete sich auf und blickte umher, und bald machte er Asrharn im Wind ausfindig.
    »Du hast versäumt, mich zu rufen«, sagte Asrharn, »so mußte ich kommen, um nach dir zu suchen wie dein Sklave oder dein Hund.« Jedoch sprach er mit ruhiger Stimme und leicht amüsiert.
    »Vergib mir, mein Gebieter, aber ich habe so viel gesehen …«
    »Erzähle mir nichts davon«, sagte Asrharn schroff. »Ich hasse die Dinge des Tages. Nun steh auf, und ich will dich nach Druhim Vanaschta bringen.«
    So kehrten sie zurück, der Jüngling mit seiner Rede eingesperrt in seinem Mund und Trauer auf seinem Gesicht, denn er wünschte all die Freude, die er in der Welt empfunden hatte, mit Asrharn zu teilen, da er ihn liebte.
    Und wie kalt die Stadt erschien, und wie düster, all seine Juwelen und sein Glanz schwanden dahin vor der Helligkeit der Sonne. Das ewige, kühle Licht von der Unterwelt war dagegen wie ein Eishauch auf seine Seele.
    Asrharn sah all dies in Siveschs Augen, aber wie zuvor tat er seinen Ärger beiseite. Er beabsichtigte, das Gemüt des jungen Mannes zu zerstreuen.
    Asrharn rief die Drin
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