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Hendrikje, Voruebergehend Erschossen

Hendrikje, Voruebergehend Erschossen

Titel: Hendrikje, Voruebergehend Erschossen
Autoren: Ulrike Purschke
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schlimmer. Zahnschmerzen wären längst weg und ich hätte eine Partyanekdote mehr. Ich wäre einfach zum Zahnarzt gegangen und hätte mir den Terroristen ziehen lassen. Aber was lasse ich mir bei Liebeskummer ziehen? Das Herz?!
Je suis un homme mal baisé
, auf Partys werde ich nicht mal mehr eingeladen, ich bin gefürchtet, als hätte ich die Pest. Das ist es, was man hat, wenn man Liebeskummer hat: die Pest. Wenn also Sie, lieber Leser, gerade an Zahnschmerzen leiden und jemanden zum Tauschen suchen – meine Adresse ist leicht in der Redaktion zu erfragen.
Ihr von allen guten Geistern verlassener
    Sugar Brown
»Das war die Kolumne, die ich Holger an diesem Tag vorgelesen habe, als er bei mir am Tresen sein Eis aß«, sagt Hendrikje und faltet das ausgeschnittene Zeitungsblatt sorgfältig zusammen.
    »Wir haben gelacht, Holger und ich, aber der doofe Bruno hatte alles mitangehört und raunte übel gelaunt über den Tresen: ›Der Typ schreibt den Scheiß nur für Geld!‹ Na hören Sie mal, da hab ich den aber zurechtgewiesen. Ich hab ihm ins Gesicht gelacht und gesagt: ›Michelangelo hat die Sixtinische Kapelle für Geld gemalt!‹ Da war er still, der doofe Bruno.
    Er ist gegangen, und die Mittagsgäste kamen herein, ich musste also weiterarbeiten und hatte keine Zeit, das Eis zu essen, das ich mir hingestellt hatte. Es stand genau vor Holger, der sein eigenes Eis schon aufgegessen hatte, naja, und da schaut er mich fragend an, und ich lächle und nicke, und Holger freut sich und sagt: ›Ja, aber dann ist dein Eis weg!‹ und ich habe noch mal gelächelt und noch mal genickt und dann hat Holger sich erbarmt und auch noch meinen Becher gegessen.«
    Hendrikje schweigt betreten und Doktor Palmenberg sieht sie unverhohlen gelangweilt an.
    »Ja, hören Sie, das war eine verhängnisvoll schlechte Angewohnheit von Holger, bei Eis nicht aufhören zu können. Ich bleibe jetzt einfach mal in der Chronologie, wenn Sie erlauben«, sagt Hendrikje spitz. »Aber dieses Detail wird später noch sehr wichtig werden. Es war der Anfang der Katastrophe.«
    Doktor Palmenbergs Züge entspannen sich wieder und nehmen einen nicht uninteressierten Ausdruck an.
Hendrikje fährt leidenschaftlich fort: »Ich meine, der Mann hat
Krieg und Frieden
neu übersetzt!«
    »Gut«, sagt Frau Doktor Palmenberg und atmet schwer, »Holger hatte also zwei Eisbecher gegessen, seinen und Ihren.«
    »Ja, genau.«
    »Gab es an diesem Arbeitstag noch irgendwelche anderen besonderen Vorkommnisse?«
    »Nein.«
    »Wie sieht denn Ihr Feierabend aus? Was tun Sie für sich nach so einem Tag, wie entspannen Sie sich?«
    »Ich bin schnell nach Hause und hab meiner Omi den Kasten Heilwasser gebracht.«
    »Ihrer Omi?«
    »Ja. Ich hab doch mit meiner Omi zusammengewohnt. Immer schon.«
    »Wie ist es denn dazu gekommen? Das ist ja ein bisschen ungewöhnlich.«
    »Ja. Meine Mutter hat irgendwann einen neuen Mann kennengelernt, einen Amerikaner. Er wollte sie mit nach Amerika nehmen und mit ihr eine Familie gründen –
seine
Familie, hat meine Omi gesagt. Die Bälger fremder Leute wollte er nicht noch großziehen. Irgendwie hat er meiner Mutter wohl ziemlich die Pistole auf die Brust gesetzt, jedenfalls ist sie mit ihm nach Florida gezogen und ich bin bei der Omi geblieben. Ich sollte nachkommen, wenn erst mal eigene Kinder da wären, wenn der Mann sich also beruhigt haben würde, aber wir haben dann den Kontakt verloren. Wir schrieben Weihnachtskarten und die kamen zurück, Empfänger unbekannt verzogen, und so ist meine Mutter mir einfach irgendwie verschütt gegangen.«
    »Und Ihr Vater?«
Hendrikje lächelt. »Den kenne ich gar nicht. Aber ich glaube, dass er Holländer ist und ich deswegen Hendrikje heiße.«
    »Glauben Sie?«
    »Ja, ich glaube, dass meine Mutter mal irgend so was erwähnt hat, aber ich war noch klein, ich war eben fünf geworden, als sie nach Amerika ging.«
    Doktor Palmenberg schüttelt sich eine Strähne ihres glänzenden Haares aus dem Gesicht und kritzelt eifrig in ihren Block.
    »Also, ich bin heim und hab der Omi das Heilwasser gebracht und einen Teller Suppe gegessen, den mir die Omi gemacht hat. Es war ja schon Dezember und kalt, und da hat die Omi immer heiße Suppe parat gehabt. Es war auch schon dunkel, aber ich bin trotzdem noch ins Atelier gefahren, mit meinem schönen Rennrad. Mein schönes knallrotes Rennrad. Mein Atelier war in Altona, in einer stillgelegten Fabrik, also nur ein kleiner Verschlag, nichts Dolles, auch nicht
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