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Helix

Helix

Titel: Helix
Autoren: Dan Simmons
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Das Ruderboot und die Boje waren doch sicher nur eine weitere falsche Fährte, ein weiterer Kelly-Dahl-Witz. Oder sie versucht, mich hinunter aufs Wasser zu locken, damit sie den Fangschuss anbringen kann.
    »Verdammt«, sagte ich zum dritten und letzten Mal. Dann schob ich das Gewehr ins Futteral zurück, zog den blauen Rucksack hervor und überprüfte Rationen, Wasserflaschen und die 38er. Ich nahm den Rucksack auf den Rücken, steckte das Kabar-Messer griffbereit in die Scheide am Gürtel, sodass ich es mit einer Bewegung ziehen konnte, klemmte die Hülle mit dem Gewehr in die Armbeuge und begann nach einem letzten Blick zum Jeep und seiner Ladung den langen Abstieg.
    Kelly, du wirst nachlässig, dachte ich, während ich den schlammigen Abhang hinunterrutschte und die Zweige der Espen als Haltegriffe benutzte. Hier passt nichts mehr zusammen. Du hast das hier genauso verpfuscht wie das Trias gestern.
    Dieses Binnenmeer konnte theoretisch zu mehreren Zeitaltern gehören – etwa in die späte Kreidezeit oder ins späte Jura. Doch in Ersterer, vor etwa fünfundsiebzig Millionen Jahren, war das große Binnenmeer viel weiter nach Westen vorgedrungen als hier, bis Utah oder sogar noch weiter, und die Rocky Mountains, die ich zwanzig Meilen weit im Westen erkennen konnte, wurden aus den Überresten von Pazifikinseln in jenem Ozean geboren, der das spätere Kalifornien bedeckte. Die Flatirons, die sich vor mir erhoben, wären kaum mehr als eine weiche Schicht im Erdreich.
    Wenn es aber das mittlere Jura sein sollte, fast einhundert Millionen Jahre früher als die Kreidezeit, dann müsste die ganze Gegend von einem warmen, flachen Meer bedeckt sein, das sich von Kanada bis hierher erstreckte und dessen südlicher Strand irgendwo im Norden Mexikos verlief. Noch weiter südlich müsste es einen riesigen Salzsee geben, und die schlammigen Ebenen des südlichen Colorado und des nördlichen New Mexico müssten sich als Landenge fast zweihundert Meilen weit zwischen den Gewässern erstrecken. Diese Gegend im zentralen Colorado müsste dann eine Insel sein – auf der es jedoch weder Berge noch Flatirons gab.
    Du hast das alles falsch gemacht, Kelly. Ich gebe dir dafür eine Vier minus. Ich bekam keine Antwort. Verdammt, es ist sogar noch schlechter: eine Fünf. Immer noch blieb es still.
    Auch die Flora und Fauna stimmten nicht. Statt der Espen und Kiefern, durch die ich jetzt nach unten kletterte, hatte es im Jura schlanke und hohe, palmenähnliche Bäume mit großen Blättern und Zapfen gegeben. Das Unterholz hätte nicht aus den Wacholdersträuchern bestanden, die ich hier umgehen müsste, sondern aus exotischem Schachtelhalm mit Blättern wie Bananenstauden. Die Flora in der späten Kreidezeit wäre dem menschlichen Auge etwas vertrauter vorgekommen – niedrige Bäume mit breiten Blättern, riesige Koniferen –, wenngleich die Blüten üppig und tropisch gewesen wären. Der Duft riesiger Blüten, die an Magnolien erinnerten, hätte die feuchte Luft gewürzt.
    Hier war die Luft weder warm noch feucht. Es war ein normaler Herbsttag in Colorado. Die einzigen Farbtupfer, die ich erkennen konnte, waren die verdorrten Blüten der kleinen Kakteen vor meinen Füßen.
    Die Fauna war falsch. Und langweilig. Dinosaurier gab es sowohl in der Kreidezeit als auch im Jura, aber die einzigen Tiere, die ich an diesem schönen Morgen gesehen hatte, waren ein paar Raben, drei Rehe mit weißen Spiegeln, die eine Meile, bevor ich die Klippe erreichte, weggerannt waren, und kurz vor dem höchsten Punkt der Flatirons einige Erdhörnchen mit goldenem Pelz. Falls nicht noch ein Plesiosaurus den Schlangenhals aus dem Wasser reckte, konnte ich getrost annehmen, dass das Binnenmeer in unsere Epoche versetzt worden war. Als die Jagd mich die letzten Male durch frühere Zeitalter geführt hatte, war ich einigermaßen enttäuscht gewesen. Ich hätte wirklich gerne einmal einen Dinosaurier gesehen, und sei es nur, um zu überprüfen, ob Spielberg mit seinen Computeranimationen hinsichtlich der Bewegungen dieser Geschöpfe richtig lag.
    Kelly, du wirst nachlässig. Faul. Oder du triffst deine Entscheidungen eher aufgrund von Gefühlen und Ästhetik und ohne jeden Sinn für Genauigkeit. Ich war nicht überrascht, dass ich keine Antwort bekam.
    Kelly war schon immer sehr eigenwillig gewesen, und aus der Zeit, als ich noch ihr Lehrer war, konnte ich mich nicht gerade an übermäßige Sentimentalität erinnern.
    Sie hat nicht geweint, als ich die sechste
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