Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)

Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)

Titel: Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
Autoren: Josef Kraus
Vom Netzwerk:
nur einen Bruchteil dieser Angebote zu nutzen.
    Turbokinder, durch Terminkalender gehetzt wie Manager? Stopfgänse, durch pädagogische Mastpläne hindurchgereicht? Sieht so unsere Realität aus? «Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht», besagt ein bekanntes afrikanisches Sprichwort. Und das stimmt hier aus vielerlei Gründen.
    Ein anderes Beispiel: Es ist ja nichts dagegen einzuwenden, dass im Kindergarten auf Englisch gesungen wird, ehe gar nicht gesungen wird. Allerdings zeigt sich mehr und mehr, dass Kinder, die Frühförderung in Englisch hinter sich haben, in der Schule den gewonnenen Vorsprung an Sprachkenntnissen sehr rasch verlieren. Das frühkindliche Sprachbad, durch immersiven Unterricht, bringt nichts, weil es eine künstliche Sprachsituation darstellt, die keineswegs vergleichbar ist mit der natürlichen Situation, in der Kinder bilingual aufwachsen, und die in nichts mit dem didaktisch sinnvoll strukturierten, systematischen Erlernen einer Fremdsprache zu tun hat.
    In den 1960er-Jahren hatte der Münchner Psychologieprofessor Heinz-Rolf Lückert propagiert: Bereits Zweijährige seien imstande und willens, lesen zu lernen. Ohne das Angebot von Lektüre würden Kinder sonst kulturell vernachlässigt. Ein anderer Psychologieprofessor assistierte ihm: Lesen sollte bereits im Kindergarten erlernt werden, dafür in der Schule Zeit zu verschwenden sei zu schade. Auch dieser pädagogische Feldzug wurde aus den USA nach Deutschland importiert. Als Kronzeuge für die Richtigkeit der These galt der Hirnchirurg Glenn Doman mit seinem Buch «How to Teach Your Baby to Read». Doman hatte sich sogar für einen Lesebeginn mit zehn Monaten ausgesprochen. Aber: Die damit verbundenen Hoffnungen auf eine deutlich verbesserte Intelligenzentwicklung haben sich nicht erfüllt. Wenn dem so wäre, dass das Lesen ausschließlich in dieser Entwicklungsstufe erlernt werden könnte, dann wären alle Alphabetisierungsmaßnahmen für Erwachsene für die Katz.
    Dabei wusste man in Deutschland schon sehr früh Bescheid «Über das schädliche Frühwissen und Vielwissen der Kinder». Der Pädagoge und Verleger Joachim Heinrich Campe verfasste unter diesem Titel bereits 1778 eine Abhandlung, in der er gegen die Treibhausproduktion, frühe Vielwisserei sowie gegen die Aufzucht von klugschnackenden Kindern, mit denen sich Lehrer und Eltern nur brüsten wollen, wettert. Apropos «Treibhaus»: Im Jahr 2004 wurde auf Initiative des Bundesbildungsministeriums eine DVD-Dokumentation über Schulen aufgelegt. Bezeichnend ist der Titel dieser Dokumentation: «Treibhäuser der Zukunft – Wie in Deutschland Schulen gelingen». Offenbar hat sich niemand an der Semantik des Titels gestört: Ein Treibhaus ist nämlich ein Gewächshaus, das in einer künstlichen, erwärmten oder heruntergekühlten Atmosphäre die – beschleunigte – Produktion oder Züchtung von Pflanzen erlaubt. Also ein Turbolader pur.
    Weniger spektakulär, aber alltäglich, findet der Förderwahn via Nachhilfe statt. Man muss gewiss nicht auf Alarmismus machen und wissen, dass man die Summe, die jährlich angeblich in Deutschland dafür ausgegeben wird, durch 11,5 Millionen Schüler dividieren muss und dass dann pro Durchschnittsschüler und Schulwoche drei Euro herauskommen. Aber wenn für Nachhilfe deutschlandweit pro Jahr rund 1,5 Milliarden Euro für 300 kommerzielle Nachhilfeschulen mit insgesamt 3000 Filialen ausgegeben werden, ist das schon eine Summe, die in den meisten Fällen in den Wind geschossen ist, wenn Eltern damit Verantwortung delegieren, statt selbst für effektives häusliches, eigenverantwortliches Lernen zu sorgen, und wenn der Ehrgeiz mancher Eltern größer ist als das Leistungsvermögen und die Leistungsbereitschaft der Kinder. Es wird somit viel Geld aus dem Fenster geworfen. Damit erkaufen sich so manche Eltern ein gutes Gewissen. Ähnliches gilt für die mehr als 3200 Angebote an Lernsoftware. Die «Beratungsstelle für Neue Technologien» in Soest hat gerade einmal 3 Prozent davon, also rund 100 verschiedene, als brauchbar eingestuft.
    Portfolios und Potenzialanalysen für Dreijährige gefällig? Ein Unternehmen in Zürich namens «design your life» bietet sie an. Für Vorschulkinder kostet eine «Premium-Potenzialanalyse» 2750 Schweizer Franken (ca. 2230 Euro). Offeriert wird Folgendes: «Der Entwicklungsstand Ihres Kindes wird umfassend abgeklärt – das kognitive und kreative Potenzial, das Aufmerksamkeits- und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher