Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter
Autoren: Jonas Wolf
Vom Netzwerk:
sprechen, wenn sich seine Gattin dazu entschlossen hatte, einen Sprung aus dem Fenster ihrer Turmkemenate zu vollführen, um ihrem Elend zu entfliehen. Der Gräfling gab auch dafür Lodaja die Schuld. »Sie war ein kränkliches Wickelkind, ganz gleich, an die Brust welcher Amme wir sie auch legten«, jammerte er mir die Ohren voll. »Es war die Sorge um diese kleine Teufelin, die meine Frau in den Wahnsinn und aus dem Fenster getrieben hat.«
    Er sah mir wohl an, dass ich ihm nicht so recht Glauben schenkte, denn er erhob sich schwankend und zerrte mich mit sich, eine Treppe zur Galerie rings um den Saal hinauf. Nach unserem beschwerlichen Anstieg zog er mich weiter, vorbei an einer endlosen Reihe von Gemälden, die seine Ahnen zeigten, wobei er nicht weiter darauf achtete, wenn ich an einigen Stationen angesichts weit aus den Höhlen quellender Fischaugen, sechsfingriger Hände oder prächtiger Schnauzbärte auf den Lippen schielender Weiber in schallendes Gelächter ausbrach.
    »Das ist sie«, verkündete er grimmig vor dem letzten Bild. »Sie hat es selbst gemalt.«
    Was soll ich sagen? Mir erschien sie derart lebensecht eingefangen, als stünde sie leibhaftig vor mir. Als würde ich die Wärme ihrer rosigen Wangen spüren, wenn ich die Finger über ihr Abbild streichen ließ. Das Samtene ihres goldenen Haars. Die feste Zartheit ihres Busens.
    Dem Gräfling konnte nicht entgehen, welche Wirkung das Bild auf mich ausübte. »Sie gefällt dir«, stellte er fest und riet mir: »Schlag sie dir besser aus dem Kopf, bevor ich es für dich tun muss. Sie ist heimtückisch wie eine Katze, die einem um die Beine fährt und ihre Krallen zeigt, sobald man sie streicheln will. Der Hengst, der sich diese Stute gefügig beißt, ist noch nicht geboren.«
    Damals war ich jemand, der keiner Herausforderung aus dem Weg ging, und was der Gräfling da behauptete, hätte allein schon genügt, mich schnurstracks zu dem Kloster aufbrechen zu lassen, in das er Lodaja gesteckt hatte. Doch er lieferte mir noch einen zusätzlichen Anreiz. »Du bist nicht der Erste, der meint, sie zähmen zu können, mein Freund. Vor ein paar Tagen habe ich mit Waldur gezecht, und er hat genau so ein Gesicht gemacht wie du, als ich ihm dieses Bild gezeigt habe.«
    In der Geschichte der Welt wird es nie wieder ein anderes Pferd geben, das schneller gesattelt worden wäre als meines in dieser Nacht. Ich musste doch Waldur einholen. Er und ich, wir hatten damals eine Art freundschaftliche Fehde laufen, wie sie unter Männern, die sich für unbesiegbar halten, nichts Ungewöhnliches ist. Unsere Wege kreuzten sich nicht mehr ganz so häufig wie in unserer Jugend, aber trotzdem oft genug, um uns wechselseitig anzustacheln wie zwei tolldreiste Jungen. Wenn Waldur erzählte, er hätte mit bloßen Händen einen Bären erwürgt, band ich mir eine Hand auf den Rücken und suchte nach der nächsten Höhle. Wenn er damit prahlte, eigenhändig eine Schwadron Falkenreiter in die Flucht geschlagen zu haben, forderte ich als Nächstes ein Regiment heraus. Und wenn er damit angab, ein Weib mit Riesenblut in den Adern sei unter seiner standhaften Zuwendung vor Wonne geschmolzen, ging ich los und wetzte mir an drei Barbarenbräuten den Stößel wund. Wie gesagt, ich musste ihn einholen.
    Als ich bei dem Kloster ankam, dessen Namen mir der Gräfling zu Beginn meines wilden Ritts aus dem Burgtor nachgerufen hatte, sah ich mich einem Hindernis gegenüber. Das Kloster – ein grottenhässlicher, Kroka geweihter Bau mit hohen Mauern aus Granit – lag auf einer Insel inmitten eines Sees. Und weit und breit keine Fähre, kein Boot in Sicht. Es nutzte ja nichts: Ich legte meine Rüstung ab, um mich nackt in die Fluten zu stürzen.
    Die erste Schwester, die mich aus dem Wasser steigen sah, wäre um ein Haar in Ohnmacht gefallen, aber nach ein paar Ohrfeigen war sie wieder bei sich und verriet mir freimütig, wo Lodaja war. Ich nehme an, sie und ihre unnütze Brut waren heilfroh darüber, dass ein Fremder aufgetaucht war, der ihnen ihr schlimmstes Übel abnehmen wollte. Die Spuren von Lodajas letztem Fluchtversuch waren überall: umgestürzte Statuen, zerrissene Altartücher, Kroka-Anbeterinnen, die sonderbar hinkten – sie besaß damals wirklich ein feuriges Temperament. In ihrer ganzen Zeit bei den Nebelkrähen fand sie nur eine einzige Freundin, die damit umzugehen verstand. Ein nicht weniger eigensinniges Weib, wenn ich mich richtig erinnere, doch wahrscheinlich war es genau diese
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher