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Heiliger Zorn

Heiliger Zorn

Titel: Heiliger Zorn
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Betreiberfamilie erhalten hatte. Alte Lagerhausfassaden säumten den verschlungenen Irrgarten aus Gassen. Nachdem New Hokkaido infolge der Siedlerkriege als Markt verloren gegangen war, brach der örtliche Belatang-Handel fast vollständig zusammen, und Familien wie Kohei gingen von einem Tag auf den anderen bankrott. Jetzt starrten sich die schmutzverschmierten Fenster in den oberen Stockwerken der Lagerhäuser traurig über die gähnenden Schneisen der Ladebuchteinfahrten hinweg an. Die Rollläden der Einfahrten hingen allesamt auf Halbmast, weder offen noch geschlossen.
    Natürlich wurde von einer Regeneration geredet, von der Wiedereröffnung solcher Gebäudeeinheiten, um sie zu DeCom-Labors umzufunktionieren, zu Ausbildungszentren und Hardware-Lagerräumen.
    Hauptsächlich war das leeres Gerede. Angesichts der Dockgebäude gegenüber den Hoverlader-Rampen weiter westlich war ein gewisser Enthusiasmus aufgekommen, aber bislang hatte diese Einstellung sich in keine Richtung weiter ausgebreitet, als man einem Linkie sein Telefon anvertrauen würde. So weit vom Kai entfernt und so weit östlich war das Klimpern von Mecsek-Geld bislang kaum hörbar geworden.
    So viel zu der Vorstellung, das der Wohlstand der Oberschichten irgendwann allen zugute kommt.
    In einem hohen Fenster, Kohei-Belawolle-Bezirk Neun Schrägstrich Zwei Sechs, war ein schwaches Leuchten auszumachen, und die langen, ruhelosen Schattenzungen im Licht, das unter der halb hochgekurbelten Jalousie der Ladebucht hervordrang, ließen das Gebäude wie einen einäugigen, sabbernden Irren aussehen. Ich drückte mich an die Wand und holte das Beste aus den Audiosystemen des Synthetiksleeves raus – was nicht gerade viel war. Stimmen sickerten undeutlich in die Nacht heraus, sporadisch wie die schemenhaften Schatten zu meinen Füßen.
    »… kann ich dir sagen, dafür hänge ich hier nicht länger rum.«
    Ein Millsport-Dialekt – das schleppende, großstädtische Amenglisch, das man auf Harlans Welt sprach, aber mit einer deutlich verärgerten Spitze. Plex’ murmelnde Stimme antwortete, zu leise für mich, um die Worte zu verstehen. Ein sanfter, provinzieller Gegenpart. Er schien etwas zu fragen.
    »Scheiße, woher soll ich das wissen? Denk doch, was du willst!« Plex’ Begleiter ging ein paar Schritte weiter weg und hantierte mit etwas herum. Seine Stimme verlor sich in den Echos, die aus der Ladebucht aufstiegen. Ich schnappte das Worte kaikyo auf, gefolgt von einem abgehackten Lachen. Dann näherte sich die Stimme wieder dem Rollladen »… worauf es ankommt, ist, dass die Familie es glaubt, und sie glaubt das, was die Technik ihr sagt. Technik hinterlässt eine Spur, mein Freund.« Ein hartes Husten und ein Atemzug, der nach einer Ladung Entspannungsmitteln klang. »Der Scheißkerl ist spät dran.«
    Ich runzelte die Stirn. Kaikyo konnte eine Menge bedeuten, je nachdem, wie alt man war. Geografisch gesehen hieß es Meerenge oder Kanal. So hatten die frühen Siedler das Wort benutzt, und vielleicht verwendeten es auch noch ein paar übergebildete, Kanji kritzelnde, angeberische Mitglieder der Ersten Familien so. Dieser Kerl klang nicht nach einer Ersten Familie, aber es gab keinen Grund anzunehmen, dass er nicht dabei gewesen war, als Konrad Harlan und seine Kumpel mit den guten Verbindungen Glimmer VI zu ihrem ganz persönlichen Hinterhof gemacht hatten. Aus dieser Zeit gab es noch zahlreiche auf Stacks gespeicherte DigIn-Persönlichkeiten, die nur darauf warteten, in einen funktionierenden Sleeve geladen zu werden. Genau genommen musste man sich ohnehin nicht häufiger als sechs- oder siebenmal hintereinander resleeven lassen, um die gesamte menschliche Geschichte von Harlans Welt zu durchleben. Sie hatte bislang kaum mehr als vierhundert Erdstandard-Jahre auf dem Buckel, seit die Kolonistenbarken gelandet waren.
    In meinem Hinterkopf regte sich die Envoy-Intuition. Hier stimmte etwas nicht. Ich hatte Menschen getroffen, die jahrhundertelang ununterbrochen gelebt hatten, und keiner von ihnen hatte wie dieser Typ geredet. Das war nicht die Weisheit des Alters, die mit einer Wolke Pfeifenrauch in die Nacht von Tekitomura hinauswaberte.
    Auf der Straße ein paar hundert Jahre später bezeichnete das vom Stripjap-Argot gekaperte Wort kaikyo eine Kontaktperson, die Diebesgut verschob. Einen verdeckten Warenflussmanager. In einigen Teilen des Millsport-Archipels wurde das Wort immer noch benutzt. Anderswo wandelte sich die Bedeutung langsam zu »ehrlicher
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