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Heidi - Buch 1 und 2 - Illustrierte Ausgabe

Heidi - Buch 1 und 2 - Illustrierte Ausgabe

Titel: Heidi - Buch 1 und 2 - Illustrierte Ausgabe
Autoren: Johanna Spyri
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kein menschliches Wesen zu entdecken sei, das er um den Weg befragen könnte. Aber es war still ringsum, weit und breit war nichts zu sehen noch zu hören. Nur der Bergwind sauste dann und wann durch die Luft, und im sonnigen Blau summten die kleinen Mücken, und ein lustiges Vögelein pfiff da und dort auf einem einsamen Lärchenbäumchen. Herr Sesemann stand eine Weile still und ließ sich die heiße Stirne vom Alpenwinde kühlen.
     
    Jetzt kam jemand von oben heruntergelaufen; es war der Peter mit seiner Depesche in der Hand. Er lief gradaus, steil herunter, nicht auf dem Fußwege, auf dem Herr Sesemann stand. Sobald der Läufer aber nahe genug war, winkte ihm Herr Sesemann, daß er herüberkommen sollte. Zögernd und scheu kam der Peter heran, seitwärts, nicht gradaus, und so, als könne er nur mit dem einen Fuß richtig vorankommen und müsse den andern nachschleppen.
     
    »Na, Junge, frisch heran!« ermunterte Herr Sesemann.
     
    »Jetzt sag mir mal, komme ich auf diesem Wege zu der Hütte hinauf, wo der alte Mann mit dem Kinde Heidi wohnt, bei dem die Leute aus Frankfurt sind?«
     
    Ein dumpfer Ton furchtbarsten Schreckens war die Antwort, und so maßlos schoß der Peter davon, daß er kopfüber und über die steile Halde hinabstürzte und fortrollte in unwillkürlichen Purzelbäumen, immer weiter und weiter, ganz ähnlich, wie der Rollstuhl getan hatte, nur daß glücklicherweise der Peter nicht in Stücke ging, wie es bei dem Sessel der Fall gewesen war.
     

     
    Nur die Depesche wurde arg zugerichtet und flog in Fetzen davon.
     
    »Merkwürdig schüchterner Bergbewohner«, sagte Herr Sesemann vor sich hin, denn er dachte nicht anders, als daß die Erscheinung eines Fremden diesen starken Eindruck auf den einfachen Alpensohn hervorgebracht habe.
     
    Nachdem er Peters gewalttätige Talfahrt noch ein wenig betrachtet hatte, setzte Herr Sesemann seinen Weg weiter fort.
     
    Der Peter konnte trotz aller Anstrengung keinen festen Standpunkt gewinnen, er rollte immerzu, und von Zeit zu Zeit überschlug er sich noch in besonderer Weise.
     
    Aber das war nicht die schrecklichste Seite seines Schicksals in diesem Augenblick, viel erschrecklicher waren die Angst und das Entsetzen, die ihn erfüllten, nun er wußte, daß der Polizeidiener aus Frankfurt wirklich angekommen war. Denn er konnte nicht daran zweifeln, daß der Fremde es sei, der den Frankfurtern beim Almöhi nachgefragt hatte. Jetzt, am letzten hohen Abhange oberhalb des Dörfli, warf es den Peter an einen Busch hin, da konnte er sich endlich festklammern. Einen Augenblick blieb er noch liegen, er mußte sich erst wieder ein wenig besinnen, was mit ihm sei.
     
    »Gut so, wieder einer!« sagte eine Stimme hart neben dem Peter. »Und wer kriegt morgen den Puff da droben, daß er herunterkommt wie ein schlechtvernähter Kartoffelsack?«
     
    Es war der Bäcker, der so spottete. Da er da droben aus seinem heißen Tagewerk weg sich ein wenig erluften wollte, hatte er ruhig zugesehen, wie eben der Peter, dem Heranrollen des Stuhles nicht unähnlich, von oben heruntergekommen war.
     
    Der Peter schnellte auf seine Füße. Er hatte einen neuen Schrecken. Jetzt wußte der Bäcker auch schon, daß der Stuhl einen Puff bekommen hatte. Ohne ein einziges Mal zurückzusehen, lief der Peter wieder den Berg hinauf. Am liebsten wäre er jetzt heimgegangen und in sein Bett gekrochen, daß ihn keiner mehr finden konnte, denn da fühlte er sich am sichersten. Aber er hatte ja die Geißen noch oben, und der Öhi hatte ihm noch eingeschärft, bald wiederzukommen, damit die Herde nicht zu lange allein sei. Den Öhi aber fürchtete er vor allen und hatte einen solchen Respekt vor ihm, daß er niemals gewagt hätte, ihm ungehorsam zu sein. Der Peter ächzte laut und hinkte weiter, es mußte ja sein, er mußte wieder hinauf. Aber rennen konnte er jetzt nicht mehr, die Angst und die mannigfaltigen Stöße, die er soeben erduldet hatte, konnten nicht ohne Wirkung bleiben. So ging es denn mit Hinken und Stöhnen weiter die Alm hinauf.
     
    Herr Sesemann hatte kurz nach der Begegnung mit Peter die erste Hütte erreicht und wußte nun, daß er auf dem richtigen Wege war. Er stieg mit erneutem Mute weiter, und endlich, nach langer, mühevoller Wanderung, sah er sein Ziel vor sich. Dort oben stand die Almhütte, und oben darüber wogten die dunkeln Wipfel der alten Tannen.
     
    Herr Sesemann ging mit Freuden an die letzte Steigung, gleich konnte er sein Kind überraschen. Aber
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