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Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)

Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)

Titel: Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)
Autoren: François Lelord
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Sie von Ihrem Berufsleben erwarten?«
    Hector wusste schon ungefähr, welchen Weg er mit Tristan beschreiten konnte – er würde ihm helfen, seine Lebensziele neu zu bewerten, indem er es zum Beispiel nicht mehr als unabdingbar für sein Glück hielt, der Reichste aus seinem Abiturjahrgang zu sein.
    Aber bestimmt würde es schwierig werden, denn Hector war aufgefallen, dass sich hinter Tristans freundlichen und höflichen Umgangsformen eine, wie die Psychiater sagen, narzisstische Persönlichkeit verbarg. Narzisstische Leute neigen zu der Ansicht, dass sie den anderen überlegen und schlichtweg außergewöhnlich seien, und wenn sich ihr Lebensweg nach einem guten Start als doch nicht so außergewöhnlich erweist, ist das ein schwerer Schlag für sie (viel schlimmer als für jemanden, der es schon für ein Wunder hält, überhaupt so weit gekommen zu sein).
    »Ja, das kann ich versuchen. Ich könnte schon mal aufschreiben, was ich bisher immer erwartet habe … Rauschende Erfolge!«, präzisierte er mit einem Auflachen, das seine Fähigkeit zur Selbstironie verriet. Es war das erste Mal, dass Hector bei ihm so etwas erlebte!
    Denn Tristan hatte einen guten Start ins Leben gehabt, eine Mutter, die ihn anhimmelte (vielleicht ein wenig zu sehr), gute Noten in der Schule und noch größere Erfolge im Sport und bei den Mädchen; er hatte gute Abschlüsse an guten Hochschulen gemacht und seine erste Stelle bei einer berühmten Bank bekommen, bei der damals alle arbeiten wollten. Eigentlich hatte Tristan seit seiner Zeit als Erstklässler auf dem Pausenhof allen Grund, sich den anderen überlegen zu fühlen.
    Aber nun ähnelte sein Leben nicht mehr der von der Menge umjubelten Zielankunft eines Siegers, sondern eher einem mühevollen Serpentinenanstieg, den man inmitten des Hauptfelds bewältigen muss. Trotzdem war es, verglichen mit der Position der meisten anderen Leute, immer noch die Spitzengruppe, auch wenn Tristan das nicht so sah.
    Tristan beunruhigte Hector, hatte er doch schon eine plötzliche und schwere Depression durchgemacht, als ihm zum ersten Mal in seinem Leben eine Frau den Laufpass gegeben hatte. Mit einem Mal hatte er geahnt, dass er womöglich doch nichts so Besonderes war.
    Weil die Vergangenheit Prognosen für die Zukunft erlaubt, nahm sich Hector vor, gut auf Tristan aufzupassen. Dann aber fand er, dass er auf sich selbst ebenso aufpassen musste, denn an diesem Abend fühlte er sich übellaunig und müde, und die Wände seines Sprechzimmers kamen ihm plötzlich wie Gefängnismauern vor.
    »Ich sollte mich wirklich mal ausruhen«, dachte er.

Hector will ein Buch schreiben
    Hector setzte sich wieder an seinen Schreibtisch, holte ein Schulheft hervor und begann sich Notizen zu machen. Er sagte sich, dass er zur Abwechslung ein Buch darüber schreiben könnte, wie man ein neues Leben anfängt. Wenn dieses Buch Erfolg hätte (was natürlich nur ein schöner Traum war), brauchte er hinterher weniger Patienten zu empfangen und könnte zu seiner früheren Form zurückfinden – wieder ein schöner Traum, von dem er wusste, wie wenig realistisch er war: Wir finden niemals zu unserer früheren Form zurück, nie wieder, und eigentlich war ihm das auch klar.
    Er schrieb das erste Wort hin: Epidemie .
    Denn der Wunsch, ein neues Leben anzufangen, war zu einer Epidemie geworden, und trotzdem stand in den Zeitschriften nichts darüber zu lesen, nicht mal in denen für Psychiater.
    In seinen ersten Jahren als Psychiater hatte Hector diesen Drang nach einem neuen Leben bei Leuten beobachtet, die ohnehin schon recht privilegiert waren, so ähnlich wie Tristan – verwöhnte Kinder, die sich mit ihren Spielsachen langweilten, obwohl andere nur davon träumen konnten, solche Dinge zu besitzen.
    Es waren Männer und Frauen gewesen, die es, wie man so sagt, zu etwas gebracht hatten, aber jetzt wollten sie auch ihre abenteuerlustige Seite ausleben oder ihre künstlerische, die sie seit ihrer Jugend unterdrückt hatten. Damals hatten sie ihren Eltern zum Gefallen Jura oder Medizin studieren müssen – oder sogar Finanzbuchhaltung. Die einen wollten sich nun in eine hübsche ländliche Gegend zurückziehen, fernab vom Trubel der Welt, während die anderen davon träumten, eine neue Karriere mit mehr Glanz und Gloria zu starten.
    Zu jener Zeit hatten sich Hectors übrige Patienten damit begnügt, ihren mühseligen Alltag zu meistern, und einfach nur gehofft, ihre Arbeit zu behalten, allerhöchstens mal befördert zu
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