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Havelgeister (German Edition)

Havelgeister (German Edition)

Titel: Havelgeister (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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der Hund schwer atmend vor ihm, und Manzettis Hilfe suchender Blick nach einem autoritären Herrchen ging ins Leere.
    »Bleiben Sie stehen und rühren Sie sich bitte nicht!«
    Neben einem mannshohen Rhododendronbusch stakste eine weißhaarige Frau aus dem Unterholz. In der rechten Hand hielt sie die bunte Hundeleine, mit der sie Manzetti aufgeregt zuwinkte.
    »Und geben Sie besser keinen Mucks von sich.«
    Manzetti hielt sich daran und atmete deutlich hörbar aus.
    »Ich danke Ihnen«, war das Einzige, was die weißhaarige Frau sagte.
    »Wofür danken Sie mir?«
    »Dafür, dass Sie Cato nichts getan haben.«
    »Ich?«
    »Ja, Sie. Sie hätten ihn vor lauter Schreck auch schlagen können.«
    »Gute Frau«, protestierte Manzetti, denn nie im Leben hätte er den Mut aufgebracht, die Hand gegen Cato zu erheben. »Ist Ihre Befürchtung nicht etwas weit hergeholt?«
    »Nein, nein«, beeilte sie sich zu widersprechen. »Cato ist fast blind und riechen kann der alte Kerl auch nicht mehr. Lediglich sein Gehör funktioniert noch, auch wenn ich ihn anbrüllen muss.«
    Manzetti sah ungläubig zu Cato. Dabei versuchte er möglichst geräuschlos seine Position zu verändern und setzte die Füße einen halben Meter nach links. Und tatsächlich. Jeder andere Hund hätte den Positionswechsel mit stoischem Blick verfolgt. Nicht aber Cato.
    »Die Zähne sind auch schon die Dritten«, sagte die Frau und klopfte ihrem offenbar überalterten Liebling die Seite. »Frieda Boll«, sagte sie und reichte Manzetti die Hand.
    Manzetti zog die Augenbrauen hoch. Das also war die berühmte Frieda Boll?
    »Angenehm«, erwiderte er. »Andrea Manzetti.«
    »Ebenso angenehm, Herr Manzetti«, sagte Frieda Boll und ließ seine Hand wieder los. Mit ihrem Oberschenkel bugsierte sie Cato von der Straße, so dass er sich unter der großen Eiche ins Gras legen konnte.
    Manzetti schaute unterdessen der bekannten Malerin noch einmal ins Gesicht. Erst kürzlich hatte ihre Biografie im Märkischen Kurier gestanden, anlässlich eines runden Geburtstages. Es war ihr sechzigster gewesen, den man ihr allerdings nicht ansah.
    »Ich freue mich, Ihnen endlich einmal persönlich zu begegnen«, sagte er. »Ich bin nämlich ein großer Bewunderer Ihrer Bilder.«
    Auf der Stirn von Frieda Boll wuchsen breite Falten. Sie ließ Cato los, richtete sich auf und vergrub ihre Hände tief in den ausgebeulten Taschen der weiträumigen Leinenhose.
    »Und welche haben Sie da im Sinn?«, fragte sie, während ihr intensiver Blick gerade versuchte, tief in Manzettis Gedanken vorzustoßen.
    »Ihre Aquarelle, was sonst? Ich kenne ja keine anderen.«
    Das war die absolute Wahrheit und die traf auch ins Schwarze. Wahrscheinlich waren Frieda Boll in ihrem Leben genügend Heuchler begegnet, die allesamt mit mehr oder weniger Kunstverstand daherkamen. Hauptsache, man konnte mit der Künstlerin einen Smalltalk halten. Doch irgendwie war ihre Skepsis noch nicht ganz verflogen.
    »Und was treibt Sie hierher, Herr Manzetti?« Ihr Blick tastete seinen Anzug ab. »Sie sehen nicht aus, als würden Sie an einem meiner Kurse teilnehmen wollen?«
    Frieda Boll trat ganz dicht an ihn heran und befühlte den Stoff seines Sakkos.
    Während sie die Lippen spitzte, runzelte Manzetti die Stirn. Sollte er bei der Wahrheit bleiben?
    Aber dafür hatte er keine Zeit mehr. Wie eine geübte Taschendiebin ließ Frieda Boll ihre zierliche Hand in die Sakkotasche gleiten und holte den einzigen Inhalt ans Tageslicht.
    »Wusste ich’ s doch?«, giftete sie ihn plötzlich an. »Hauen Sie ab und lassen Sie sich hier nie wieder blicken!«
    Sie drehte sich zu Cato und hielt noch immer die Visitenkarte von Holger Marquardt hoch, einem Reporter der Welt und der Berliner Morgenpost, der in der nächsten Woche ein Interview mit Manzetti führen wollte. Polizisten mit Migrationshintergrund.
    Oh, nein, raste es durch seinen Kopf.
    Aber Cato hatte sich bereits erhoben und stand durch die Segnung einer unglaublichen Wunderheilung begünstigt, zwischen seinem Frauchen und Manzetti auf der Straße. Ausgestattet mit überaus spitzen Zähnen machte er nicht den Eindruck, als wären für ihn die Tage der Altersteilzeit wirklich schon angebrochen.
    »Los, verschwinden Sie und lassen Sie den Jungen in Frieden. Ich gebe Ihnen fünf Sekunden Vorsprung, dann schicke ich Ihnen Cato hinterher.«
    Da Manzetti an der Aussage der Malerin keinen Zweifel hatte, drehte er sich abrupt um und nahm seine Beine in die Hand. Den Lauf entlang der Straße
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