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Havelgeister (German Edition)

Havelgeister (German Edition)

Titel: Havelgeister (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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nicht vor«, entgegnete er. »Aber, ich habe diesen Adler heute schon einmal gesehen.«
    »Wo?«
    »Am Dom. Irgendwer hat ein übergroßes Leinwandgraffiti über das Dach des Doms gespannt, und als wir es endlich unten hatten, prangte rechts oben in der Ecke das Symbol der Sprayercrew.«
    »Lass mich raten«, sagte Kerstin. »Ein Weißkopfseeadler.«
    »Ja«, sagte er. »Und wie auf Laras Helm guckt er nach links.«

8
    Henry Wegmann hatte seinen Stammplatz an der Fensterseite des großen Besprechungsraumes bereits eingenommen und wartete nun darauf, dass es endlich losging.
    »Was haben wir?«, fragte Chefredaktuer Riethmüller in die Runde und blickte sogleich auf Wegmann, den er mangels Alternative für den Domartikel verantwortlich gemacht hatte. »Wegmann, ich höre.«
    Wegmann räusperte sich, während sein Blick zu Karin Sommer huschte, die ihm wie eine treu sorgende Mutter zunickte. Mach ruhig.
    »Das Domgraffiti«, begann Wegmann mit leiser Stimme. »Aufgesprüht auf Bettlaken, die miteinander vernäht waren …«
    »Da hat sich ja einer richtig viel Mühe gegeben, was?«, warf Riethmüller ohne Rücksicht auf den Vortragenden ein und lachte als einziger über seinen Witz, der eigentlich gar keiner war.
    »Ja«, bestätigte Wegmann trotzdem und gab Karin das verabredete Zeichen, woraufhin die Fotoreporterin den Beamer einschaltete und ihre Bilder vom Vormittag auf die Leinwand projizierte.
    Polizeidirektor Ole Claasen mit aufgerissenem Mund, glatzköpfig die Hände an die Ohren gelegt, vor einem tiefroten Himmel.
    »Die Kollegen Winkler und Stade müssten jeden Augenblick eintreffen und dann wird’s interessant.«
    Winkler und Stade brauchten beide aber noch fast eine Stunde, hatten dann allerdings lohnende Informationen im Gepäck, auch wenn es nicht die ganz großen Neuigkeiten waren.
    Torsten Winklers Recherche war ergiebiger gewesen als die des Kollegen und somit fing er an. »Die Graffitiszene ist in einem … sagen wir euphorischen Zustand«, erklärte Winkler. »Begrifflichkeiten wie cool, krass und geil geben nur sparsam wieder, was da gerade abläuft. Wenn sie einen König wählen dürften, dann wäre es mit Sicherheit der Urheber unseres Bettlakengemäldes.«
    Riethmüller schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Nun mal Butter bei die Fische. Wer ist es?«
    Winkler war zu lange im Geschäft, als dass er diese günstige Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen konnte. Um die Spannung aufzuheizen, suchte er krampfhaft und gut gespielt nach einem bestimmten Zettel, den er schließlich in die Mitte des Konferenztisches segeln ließ.
    »Nepomuk Böttger«, zitierte er aus dem Gedächtnis und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.
    Riethmüller seufzte laut auf und bremste damit sowohl seinen, als auch den Elan seiner Mitarbeiter. Hatte er den Namen des Sprayers richtig verstanden? Nepomuk Böttger?
    Das war so etwas wie ein journalistischer GAU. Ein Fiasko. Der Junge war eigentlich uninteressant, nicht aber sein Vater. Thomas Böttger hatte in den letzten zehn Jahren eine Bilderbuchkarriere hingelegt. Als Erbe einer kleinen Baufirma hatte er den väterlichen Betrieb innerhalb kürzester Zeit zu einer allmächtigen Firma gewandelt, mit Niederlassungen bis ins ferne Afrika. Da war es kein Wunder, dass seine politischen Verbindungen weit über die Potsdamer Staatskanzlei hinausreichten und beim letzten Firmenjubiläum sogar der Ministerpräsident nebst seinem Wirtschaftsminister vorbeigeschaut hatte. Böttger war ein Global Player, der ein Vermögen gemacht hatte. Noch dazu war er der aktuelle Präsident der Rotarier, zu deren erlauchtem Kreis sich auch Riethmüller zählen durfte.
    Der Chefredakteur des Kuriers rieb beide Daumen so heftig gegen die Zeigefinger, dass das dabei entstehende Geräusch bis in den letzten Winkel des Konferenzraumes zu hören war.
    »Wie sicher ist die Information?«, fragte er.
    »Ziemlich sicher. Man traut das nur dem Böttgerspross zu, da nur er über das nötige künstlerische Talent verfügt.«
    »Haben Sie mit ihm selbst gesprochen?«
    »Nein. Niemand weiß, wo er ist. Er scheint untergetaucht zu sein. Ich habe mit seiner Mutter reden können, sie weiß aber auch nicht, wo er steckt.«
    »Schule?«, fragte Karin Sommer.
    »War er heute nicht.«
    »Und wenn die Mutter ihn nur in Schutz nimmt? Schließlich steht der Ruf des Böttgerclans auf dem Spiel«, hakte Wegmann nach.
    »Glaube ich nicht«, antwortete Winkler. »Sie weiß wirklich nicht, wo er abgeblieben ist.
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