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Haus der Löcher (German Edition)

Haus der Löcher (German Edition)

Titel: Haus der Löcher (German Edition)
Autoren: Nicholson Baker
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dem Konzertsaal des Hauses der Löcher in ihrem schwarzen Kleid und schwarzen Strümpfen, noch ganz außer Atem von den Anstrengungen kurz davor. Sie schaute auf ihre Schultern – sie waren perfekt gebräunt, nicht zu dunkel, genau richtig. Chuck kam; er trug einen zerknautschten Blazer und hielt schlaffe Tickets in der Hand. Sein Haarschopf erregte sie.
    «Hallo, hallo», sagte er. «Du sieht hinreißend aus. Ich habe uns das Samtzimmer besorgt.»
    Sie gingen hinein, vorbei an der Bar und die breite rote Treppe hinauf zu den Rängen. Es war sehr warm, und es gab goldene Wandleuchter in Gestalt von Meerjungfrauen.
    «Wo ist denn das übrige Publikum?», fragte Luna.
    «Es ist ein ganz besonderes Konzert», sagte Chuck. Sie kamen zu Zimmer 28L. An der Tür stand «Samtzimmer». Sie gingen hinein. Es war sehr still und sehr intim, und in der Wand waren zwei Löcher. Vor den zwei Löchern war ein merkwürdig geformter niedriger Stuhl aufgestellt.
    «Hübsch hier, aber ich sehe ja gar nicht die Bühne», sagte Luna.
    «Im Samtzimmer sieht man die Bühne nicht. Sehen ist hier nicht wichtig.» Chuck lächelte und strich ihr sanft über die Haare. Seine Augen hatten eine zweite Ebene, hinter der Iris – es war, als blickte sie eine Wendeltreppe hinab. «Jetzt musst du die Schuhe und deine schwarzen Strümpfe ausziehen, obwohl sie sehr hübsch sind, und dich auf den Stuhl setzen.»
    «Okay», sagte Luna. Sie streifte die Strümpfe ab und reichte sie ihm. Er faltete sie zusammen und legte sie auf ein Beistelltischchen.
    «Gut», sagte er.
    «Und jetzt setze ich mich?»
    Chuck nickte. «Mach’s dir bequem.»
    Sie setzte sich, sah zu ihm hoch und gab sich noch einen Blick aus seinen Augen. Der Stuhl war niedrig, und ihr Kleid rutschte hoch. «Entschuldige, das ist hier ein bisschen ungehörig», sagte sie und zog daran herum, damit man ihr rotes Höschen nicht sah.
    «Keine Sorge. Gleich steckst du die Beine durch die Löcher.»
    «Jetzt sofort?»
    Chuck nickte.
    Sie machte den rechten Fuß spitz und steckte ihn durch das Loch. Dann den linken.
    «Gut», sagte Chuck. «Und jetzt ganz durch.»
    Luna rutschte auf dem Stuhl vor.
    «Ein bisschen weiter», sagte Chuck und stellte sich hinter sie. Luna spürte, wie ihre Beine im Freien baumelten, und dann spürte sie, wie ein Mann sie berührte und ihre rechte Ferse mit der Hand umschloss. «Ich glaube, da hält jemand meinen Fuß», sagte sie.
    «Das ist Alexander», sagte Chuck.
    Die Berührung war sanft, und Luna spürte, dass Alexander vielleicht einen kleinen Ziegenbart wie ein Franzose hatte. Sie hörte ihn murmeln. Ihr Hauptgedanke war: Mann, bin ich froh, dass ich mir heute die Beine rasiert habe.
    «Was sagt er?», fragte sie Chuck.
    Chuck drehte an einem Lautstärkeknopf. «Du kannst mit ihm sprechen, wenn du willst», sagte er.
    «Darf ich fragen, wer Sie sind?», fragte sie höflich.
    Die Hände verharrten still. «Ich bin Alexander Borodin, der sehr berühmte russische Komponist», sagte die Stimme.
    Luna sah wieder Chuck an, der inzwischen mit ihren Haaren spielte. «Aber Alex», sagte sie, «haben Sie nicht vor rund hundertzwanzig, hundertdreißig Jahren die Polowetzer Tänze komponiert?»
    «Ja, aber jetzt bin ich hier, um Ihr Bein wie die Tasten einer Klaviatur zu bespielen», sagte er.
    Chuck küsste sie auf die Stirn. «Genieß es einfach.»
    «Okay, machen Sie weiter», sagte Luna.
    Alexander begann zu spielen. Ihr ganzes Bein hinauf und hinunter, auf ihrem Schenkel, trillerte auf ihrer Kniescheibe, glissandierte auf ihrer Wade. Sie lehnte sich zurück, stieß einen leisen, gurgelnden Seufzer aus und ließ den Kopf in Chucks Schoß fallen. «Oh, entschuldige», sagte sie, als sie dort einen harten Klumpen spürte.
    «Darf ich dir das Ding da aus den Haaren lösen?», fragte Chuck.
    Lunas Augen waren geschlossen. Sie nickte. Chuck nahm die Spange heraus, beugte sich vor und küsste sie aufs Ohr. Dann, als Luna von der Musik auf ihrem rechten Bein beinahe davongeblasen wurde – sie konnte die Musik perfekt hören –, spürte sie plötzlich die Hände eines anderen Mannes auf dem linken.
    «Moment, wer sind denn Sie?», fragte sie.
    Die Hände hielten ihr Bein sehr selbstgewiss fest. «Ich bin Nikolai.»
    «Welcher Nikolai?»
    «Nikolai Rimski-Korsakow, der berühmte russische Komponist», sagte die Stimme. «Ich spiele gleich eine Klavier-Transkription meiner sehr berühmten Scheherazade.»
    «Wo?»
    «Auf Ihrem nackten linken Bein. Jetzt.»
    Die beiden
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