Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Haus der Erinnerungen

Haus der Erinnerungen

Titel: Haus der Erinnerungen
Autoren: wood
Vom Netzwerk:
sie nicht begleitet?«
    »Ich - konnte nicht. Ich habe -«
    »Du hast auf Johns Rückkehr gewartet.«
    »Nein, Victor. Ich habe auf dich gewartet.« Ihre Stimme gewann jetzt an Kraft. »Die Hoffnung, daß John zurückkehren würde, hatte ich längst aufgegeben. Ich hoffe, er hat da, wo er jetzt ist, seinen Frieden gefunden. Aber dich habe ich nie verloren gegeben, Victor. Ich habe nur von der Hoffnung gelebt, daß du zurückkehren würdest. Wie hätte ich nach Wales reisen können, da du ja jederzeit zurückkommen konntest? Wie es nun auch geschehen ist...«
    Sie schwiegen beide und sahen sich nur an. Und beide konnten sie nicht genug voneinander bekommen.
    Ich stand langsam vom Bett auf. Ich schwang die Beine zu Boden und stellte mich vorsichtig auf die Füße. Ohne zu überlegen, ging ich zu Jennifer und blieb an ihrer Seite. Jetzt sahen wir beide den Mann an, den wir liebten. »Du hast gesagt, du seist gekommen, um mir Lebewohl zu sagen«, bemerkte Jennifer leise.
    »Ja, ich werde jetzt für immer von hier fortgehen. England kann nicht mehr meine Heimat sein. Ich bin ein Mann ohne Ehre. Ich habe kein Recht darauf, unter anständigen Menschen zu leben. Vielleicht werde ich in Frankreich -«
    »Bleib, Victor.« Nicht leidenschaftlich und nicht flehend. Einfach: »Bleib.«
    Und ich sah, wie es ihn ergriff.

    Er schien schwankend zu werden in seinem Entschluß und sagte unsicher: »Ich bin nicht gekommen, um mit dir allein zu sein. Ich wollte meine Mutter besuchen, um ihr, wenn möglich, ein wenig Trost zu spenden.« Jetzt, da sie zwei ihrer Kinder verloren hat, dachte er bitter. »Ich hatte gehofft, dich nur in ihrem Beisein zu sehen. Aber nicht - nicht so.«
    »Und warum nicht so?«
    »Weil ich dich nur unglücklich machen kann.«
    »Wie alle anderen?« Er nickte.
    »Dann...« Jennifer griff in ihre Rocktasche und zog einen Brief heraus. Am Umschlag erkannte ich, daß es das Schreiben war, das Harriet ihr hinterlassen hatte. Und ich sah mit Trauer, daß es das gleiche etwas kitschige Briefpapier war, auf dem sie ihre heimlichen Briefe an Scan O'Hanrahan geschrieben hatte. »Lies das«, sagte sie und hielt ihm den Brief hin.
    Victor betrachtete den Umschlag. »Was ist das?«
    »Bitte lies es.«
    Er überlegte einen Moment, dann kam er langsam zu uns. So weit wie möglich von uns entfernt blieb er stehen und nahm den Brief. Als er den Bogen aus dem Umschlag zog und entfaltete, sah ich Harriets feine Handschrift mit eigenen Augen. Ich las den Brief mit ihm.
    »Liebste Jennifer, ich weiß, wenn Du diesen Brief liest, Du, meine einzige wahre Freundin, wirst Du sehr traurig und bekümmert sein, und ich weiß auch, daß ich Dir großen Kummer bereitet habe. Aber es mußte so geschehen. Ich muß Dir sagen, warum. Ich weiß schon seit einiger Zeit, daß ich mein Leben auf diese Weise beenden muß, so, wie Du mich nun gefunden hast, denn ich habe immer geglaubt, daß Vater es so gewollt hätte.
    Meine Zeit ist knapp, ich werde Dein Elend nicht verlängern. Als mein Vater mir das Recht verweigerte, Scan O'Hanrahan zu heiraten, ihn einen Papisten und anderes schimpfte, gehorchte ich ihm nicht, sondern ging mit Scan zur alten Abtei hinaus. Du weißt davon. Und als ich guter Hoffnung war, selbst dann glaubte ich immer noch, daß mein geliebter Sean mich heiraten würde. Bis er mir die grausame Wahrheit sagte. Ich war entehrt. Aber schlimmer noch, ich war zurückgewiesen worden. Ich glaube, das war der Moment, liebste Jenny, als alles in mir umschlug. Es war, als hätte eine andere Person von mir Besitz ergriffen und täte mit mir, was sie wollte. Ich sage das nicht, um mich von den Handlungen freizusprechen, die ich begangen habe, sondern um Dir wenigstens eine kleine Erklärung dafür zu geben, warum ich getan habe, was ich tat.
    Victor hat keine Abtreibung an mir vorgenommen. Ich habe es mit eigener Hand getan. Ich wollte ihn verletzen. Ich wollte Euch alle verletzen, weil ich glaubte, das würde meinen Schmerz lindern. Ich wollte auch John ruinieren, darum ging ich zu den Buchmachern und erzählte ihnen von seinem Plan, aus Warrington fortzugehen. Ich will jetzt nicht behaupten, daß ich an dem Unglück, das ich herbeiführte, nicht eine gewisse grausame Freude hatte, so schändlich das ist. Ich hatte in meinem Schmerz und meiner Bitterkeit nur einen Gedanken: anderen gleich Schlimmes zuzufügen, wie mir angetan worden war.
    Aber als mir in einem klaren Moment bewußt wurde, was ich Victor tatsächlich angetan hatte, gerade
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher