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Hartmut und ich: Roman

Hartmut und ich: Roman

Titel: Hartmut und ich: Roman
Autoren: Oliver Uschmann
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Liebe birgt Gefahr für den neuen Staat, und Gefühle stören da nur.«
    Der Beamte mit dem Schnäuzer geht jetzt zwischen den Reihen der Polizisten her und instruiert seine Leute. Ein fit aussehender Autonomer in schwarzen Klamotten legt den Kopf schief, hält sich ein Handy ans Ohr und drückt sich das andere zu. »In der Welt von morgen wird alles wunderbar, ja du wirst schon sehen, morgen funktionierst dann auch du«, singt Peter Maffay.
    »Die werden wieder kesseln«, sagt Jochen jetzt und sieht sich nachdenklich und erfahren das Spiel an.
    »Hmm«, nickt Hartmut. »Wie immer.«
    »Die schaffen es einfach nicht, eher durchzubrechen«, sagt Jochen. »Einmal haben welche schon um sechs Uhr morgens auf dem Ring ein Picknick abgehalten. Ältere Herrschaften. Die konnten sie nicht wegjagen. Die Nazis konnten nicht marschieren. Das ist schon länger her.«
    »Die Jüngeren stehen halt nicht früh auf«, sagt Hartmut. »Die haben auch kein Verständnis von Strategie.«
    »Da kommt den Älteren zugute, dass sie noch im Krieg waren, was?«, sagt Jochen, und beide lachen jetzt so ein bescheuertes, trockenes Lachen wie die Muppet-Opas in ihrer Loge.
    Ich sitze dazwischen und bin leicht irritiert. Peter Maffay singt »Rock ’n’ Roll«. Die Gegendemonstranten sind in der Tat sehr jung. Es sind viele Mädchen darunter mit Rastas und Aufnähern auf zerschlissenen Jacken. Viele der Jungs sind schmächtig und tragen enge Trainingsjacken, Cordhosen und Chuck’s. Man wünscht ihnen nicht, dass es der Demo gelingt, die Barriere zu durchbrechen und direkt vor den Nazis zu stehen. Es gibt nur wenige, die wirklich wie Autonome aussehen, und selbst der schwarze Telefonmann sieht so aus, als würde er privat lieber Tai Chi im Unisport machen, als sich mit Skinheads anzulegen. Nur die Punks ganz vorne kann man sich im Boxring vorstellen. Sie haben ein breites Kreuz und eine Art Malocher-Haltung, einer läuft mit nacktem Oberkörper herum und trägt seinen Bierbauch vor sich her. Man hört sein Gegröle bis hier oben. Er ist ziemlich betrunken. »Geh fort, geh doch fort, dorthin, wo kein Mensch dich mehr kennt, geh fort, geh doch fort, und suche dir ein neues Ziel!«, singt Peter Maffay.
    Dann geht es ganz schnell. Ein paar Eier fliegen aus der Straße zu den Nazis rüber, auch Tomaten und anderes Staudengemüse. Es wird auf beiden Seiten lauter, bis man das Gebrülle kaum noch unterscheiden kann, und am anderen Ende der Straße fährt jetzt ein LKW der Polizei in die Schlucht und zieht eine Kette Polizisten hinter sich her, die die Straße abriegelt.
    Peter Maffay singt allen Ernstes »Wer wirft den ersten Stein?«, und Jochen grinst verschmitzt, bevor er Hartmut mit einem professionellen Blick ansieht und »Kessel!« sagt.
    »Du Kammer, ich Fußball?«, fragt Hartmut.
    Jochen nickt.
    Ich verstehe nicht so ganz und bleibe auf dem Balkon stehen, als ich unten sehe, wie die Gegendemonstranten auseinander stieben und sich einige wenige über die Mauer hinter der Pizzeria retten können, bis zwei Beamte den Zugang zu dem Hinterhof abriegeln. Zwei der kleinen Rastamädchen bremsen nicht rechtzeitig ab und prallen gegen die Polizisten. Der autonome Telefonmann treibt sie von ihnen weg und gestikuliert hektisch herum, als könne er das wilde Gewusel in geordnete Bahnen lenken. Einige Demonstranten rennen jetzt zu den Hauseingängen, als es auch bei uns klingelt und Jochen schnell die Tür aufmacht. »Hier oben!«, brüllt er ins Treppenhaus, und wenig später fallen drei junge Männer und ein Mädchen in die Wohnung und atmen schwer. »Hi, Jochen«, sagt einer der Jungen und sieht ihn abgehetzt an, »das sind … «
    »Keine Zeit für Vorstellungsrunden!«, sagt Jochen, »ihr müsst schnell in die Besenkammer. Los, los! Gleich klingelt es wieder!« Hartmut hat derweil den Fernseher angeschaltet und den Premiere-Decoder justiert. Die Bundesliga-Konferenz erscheint auf dem Bildschirm. Die Spiele wurden gerade erst angepfiffen. »Er hätte den Decoder nie gekauft, wenn es diese Demos nicht gäbe«, sagt Hartmut und dreht sich zu mir um. Ich sehe ihn an wie ein Kalb. »Er mag doch kein Fernsehen. Er kauft doch nur diese Filme. Aber er musste Premiere besorgen, wegen der Bullen.« Es klingelt an der Tür. »Ah, da sind sie ja schon.« Im Augenwinkel sehe ich, wie Jochen die Tür der Besenkammer schließt, nachdem er den vier Demonstranten Kuchen und Saft hineingegeben hat. Hartmut steht derweil an der Wohnungstür und ruft eine Begrüßung ins
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